Cherubim
auf Schwester Aurelia.
Bleich wie der leibhaftige Tod stand sie da, hatte die Hände an die Wangen gelegt und starrte geradeaus, als habe sie einen Geist gesehen.
»Schwester!«, rief Johannes aus. »Was ist passiert?«
Da wandte Aurelia sich zu ihm um. Erleichtert ließ sie die Schultern sinken. »Dem Herrn sei Dank, Bruder Johannes!«, keuchte sie. »Wie gut, dass Ihr da seid!«
»Warum hast du so geschrien?«, verlangte Bruder Johannes zu wissen.
»Weil ...«
In diesem Moment öffnete sich die Tür zu Kunigundes Gemach.
»... da ein Mann ist!«, beendet Aurelia ihren Satz. Er klang wie ein tonloses Ächzen, das Wort »Mann« sprach sie aus, als handele es sich um Ungeziefer.
Katharina spürte, wie ihr Unterkiefer herunterklappte, als der Mann aus Kunigundes Räumen auf den Flur hinaustrat.
»Ich bin auf der Suche nach der Priorin«, sagte er mit fröhlicher Stimme. »Aber ich fürchte, sie ist nicht da.«
Vor Katharina stand Wilhelm von Hohenheim.
Richards Linke schmerzte, so heftig hatte er gegen die Pforte des Kloster-Torhäuschens geschlagen. Das Pochen musste bis in den hinteren Winkel der weitläufigen Anlage zu hören gewesen sein, dachte er, warum nur dauerte es so lange, bis jemand öffnen kam?
Dann endlich tat sich etwas.
Eine winzige Sichtluke in der Pforte wurde geöffnet, und das blasse Gesicht einer Nonne schaute heraus. »Was wünscht Ihr?«, fragte sie mit einer Mischung aus Langeweile und Herablassung.
»Ihr müsst uns einlassen!«, bat Richard. »Eure Gemeinschaft befindet sich in großer Gefahr!«
Das Gesicht der Nonne verschwand kurz, und Richard schöpfte schon Hoffnung, dass sich die Pforte tatsächlich öffnen würde.Doch er wurde enttäuscht. »Ihr könnt nicht reinkommen«, sagte die Nonne, und schon war die Klappe im Begriff zuzufallen.
Gerade noch rechtzeitig gelang es Richard, seine Hand in den Spalt zu schieben. »Wartet!«, rief er. »Wir müssen Eure Priorin retten!«
Die Nonne lachte auf. »Das habe ich heute schon mal gehört!«
Sie drückte stärker, doch Richard nahm seine Hand nicht fort. »Und?«, fragte er. »Was habt Ihr gemacht?«
»Ich habe Frau Jacob gesagt, dass das Wohl der Priorin allein in Gottes Hand liegt, wie das aller Menschen in diesem Kloster. Ich werde nicht zulassen, dass Ihr die Ruhe hier drinnen nur wegen irgendwelcher Hirngespinste stört!« Sie warf sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Klappe, und jetzt kapitulierte Richard.
Er zog seine Hand fort.
Und fluchend starrte er auf das massive Holz vor seiner Nase.
»Das hat keinen Sinn!«, sagte Arnulf und wies nach rechts, wo das Seitenschiff der Klosterkirche aufragte. »Lass uns nachsehen, ob wir da drinnen mehr Erfolg haben!«
Richard lief voran. Die Kirche umfing ihn mit einer unangenehm dichten Wolke von Weihrauch, doch anders als er erwartet hatte, war es in ihr nicht still.
»Bastard!«, hörten sie eine hohe Frauenstimme keifen.
Richard blieb wie angewurzelt stehen.
Hinter einer Säule traten zwei Gestalten hervor. Egbert und eine hochgewachsene, schlanke Frau, die die Ordenstracht der Dominikanerinnen trug.
»Vorsicht!«, schrie Arnulf, der hinter Richard die Kirche betreten hatte. »Er hat einen Dolch!«
»Wo ist Kunigunde?«, herrschte Katharina Hohenheim an.
Der wich erstaunt einen Schritt zurück. »Ich sagte Euch schon, dass ich sie nicht finden konnte.«
»Was erlaubt Ihr Euch, einfach hier so einzudringen!« In einer seltsam rührend anmutenden Geste schob sich Bruder Johannes schützend vor Katharina.
Hohenheim zog schuldbewusst den Kopf ein. »Ich wollte dochnur ... für die medizinische Erkenntnis ...« Er geriet ins Stammeln, und in diesem Moment wirkte er alles andere als gefährlich.
Katharina tastete seine Gestalt mit den Blicken ab. Soweit sie es erkennen konnte, hatte er keinerlei Waffe bei sich. »Wir ...«
Die Erklärung wurde ihr von den Lippen gerissen, als ein schrilles Kreischen durch die Gänge des Klosters hallte: »Bastard!«
Katharina umfasste Egberts Dolch fester.
Neben ihr wurde Bruder Johannes bleich. »Das war die Priorin!«
Egbert erstarrte, als er erst Richard und Arnulf, dann Lukas entdeckte, der es vorgezogen hatte, ein ganzes Stück zurückzubleiben. Seine Augen weiteten sich. Der Dolch lag locker in seiner Hand, die Spitze aufwärts gerichtet, so dass sie in Richtung von Kunigundes Herz wies. Beiläufig nahm Richard die lange schmale Klinge wahr. Wie ein Skalpell!, dachte er. Perfekt für Egberts Zwecke.
Auch Kunigunde hatte
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