Cherubim
hatte Katharina einige neue Möbel aufgestellt. Aber noch immer wirkte alles heruntergekommen und unheimlich.
Im Flur blieben sie stehen.
Fragend sah Katharina Richard an.
»Ich habe ihm Bericht erstattet über den Mord an Zeuner und wer ihn auf dem Gewissen hat.«
»Jetzt erst?«
Richard zuckte die Achseln. »Er war für einige Zeit nicht in der Stadt.« Schief grinste er. »Was zeigt, wie wichtig ihm die ganze Sache war, nachdem die Juden aus dem Spiel waren.«
»Nicht viel wichtiger als der Mord an Dagmar und den anderen.« Katharina wies in Richtung Küche, und Richard ging voraus.
Als er den Raum betrat, sah er, dass Schedel und Hohenheim bereits an dem großen Küchentisch saßen. Mit einem Nicken grüßte er sie.
»Vielleicht ein bisschen«, antwortet er dann auf Katharinas Worte. »Immerhin war Zeuner ein hochgestellter Bürger.«
Während er sich hinsetzte, wanderten seine Gedanken zu dem Treffen mit dem Bürgermeister zurück. Silberschläger war nicht besonders erbaut darüber gewesen, dass Richard ihm tatsächlich diesen Mordfall gelöst hatte. Wenigstens damit also konnte er den Judenhass in der Stadt nicht mehr schüren.
Richard war sich sicher, dass der Bürgermeister ihm das übelnahm. Sehr übelnahm.
Wie es aussah, hatte er sich einen Feind gemacht.
Er holte tief Luft. Darüber würde er sich zu einem späteren Zeitpunkt Gedanken machen. Jetzt hatte er Wichtigeres zu tun.
Sein Blick lag auf Schedel.
Der Doktor begriff sofort. »Oh!« Er stand auf. »Ich fürchte, wir müssen gehen, Wilhelm!«
Hohenheim wollte protestieren, aber dann verstand auch er.
Er schaute von Katharina zu Richard und wieder zurück. Ein Lächeln glitt über seine Miene, als auch er sich erhob.
»Es ist eine Binsenweisheit, meine Liebe«, sagte er zu Katharina. »Aber an ihr ist mehr dran als an vielen klugen Worten der größten Gelehrten.«
Katharina wartete, was nun kommen mochte.
»Die Zeit heilt alle Wunden!«
Sie neigte den Kopf. »Das ist wirklich eine Binsenweisheit.« Sie lächelte.
Richard wurde es warm ums Herz. Egal ob Binsenweisheit oder nicht, wenn es stimmte, sollte es ihm recht sein.
Er blieb zurück, als Katharina die beiden Doktoren zur Tür brachte.
Als sie zurückkehrte, stand er vor dem Regal und hielt das Döschen mit Egberts Medizin in der Hand.
»Was denkst du?«, fragte Katharina.
Er drehte das Döschen. Dann stellte er es wieder weg. Achselzuckend wandte er sich zu ihr um. »Ich weiß nicht. Irgendwie habe ich ein mulmiges Gefühl dabei.«
»Wobei? Bei dieser Medizin?«
Er nickte.
Und da lächelte sie erneut. »Was glaubst du, was ich habe? Immerhin weiß ich, woraus das Zeug gemacht ist.«
Richard wurde leichter zumute. »Er hat dir nie gesagt, wie du es verwenden musst, oder?«
»Nein. Er wusste es selbst nicht.«
Katharina trat näher.
»Katharina, wegen der Sache mit Egbert ...«, begann Richard, aber sie schüttelte nur den Kopf.
»Lass mir Zeit!«, bat sie.
Und er nickte. Das würde er.
Er war versucht, die Hand nach ihr auszustrecken, doch er wagte es nicht. Das Lächeln auf ihrer Miene war fort, doch es hatte nicht dem alten Ausdruck von Traurigkeit Platz gemacht.
Vielleicht war das ein gutes Zeichen.
Nachwort
Die Krankheit, unter der Kunigunde und die anderen in diesem Roman leiden, gibt es wirklich. Sie heißt Alkaptonurie, und sie ist medizinhistorisch von einiger Bedeutung, weil sie im 19. Jahrhundert zur Geburt der Humangenetik geführt hat.
Darüber hinaus ist sie aber auch bereits in antiker Zeit recht gut belegt. Schon den damaligen Ärzten fiel es auf, wenn Menschen, die unter nachweislich schwarzem Harn litten, nicht, wie es die damalige Lehrmeinung war, rasch das Zeitliche segneten, sondern, im Gegenteil, sogar lange und recht gut damit lebten. Hippokrates beschreibt in seinem Dritten Buch der Volkskrankheiten vermutlich einen Fall von Alkaptonurie, und auch Johannes Aktuarius, den Hartmann Schedel und Wilhelm von Hohenheim zitieren und der keine Erfindung von mir ist, beschäftigt sich eingehend mit dem Phänomen des Schwarzharns.
In neuerer Zeit fand man heraus, dass es sich bei der Alkaptonurie um eine Erbkrankheit handelt, die besonders häufig in Familien mit Inzestfällen auftritt. Bei der Schilderung der Symptome habe ich mich an die Forschungsergebnisse gehalten, mit einer einzigen Ausnahme: Die Schwarzfärbung der Augen tritt in Wahrheit nicht so rapide auf, wie ich es beschreibe, und sie ist auch nicht ganz so drastisch. Hier habe ich
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