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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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konnte, war Katharina.
    Was, wenn Kunigunde sie ebenfalls tötete?
    Das Bild von Dagmars Leiche flammte vor seinem inneren Auge auf, und er lief noch schneller. Bruder Johannes folgte ihnen hintendrein. Er hatte Richard einen Schlüsselbund gegeben, mit dessen Hilfe sich die Zwischentür im Torhäuschen öffnen ließ. Richards Knöchel traten weiß hervor bei dem Versuch, den Schlüsselbundnicht fallenzulassen. Die Schlüssel sahen alle gleich aus, und er hätte wertvolle Zeit gebraucht, den richtigen wiederzufinden.
    Vor dem Torhäuschen angekommen, zitterten seine Hände so sehr, dass er sie kaum zur Faust ballen konnte. Was, wenn die Nonne, die Tordienst hatte, sie nicht einließ?
    Er hämmerte gegen die Tür, so fest er es vermochte.
    Die Luke wurde geöffnet, und zu Richards grenzenloser Erleichterung hatten die Schreie, die durch die Klostergänge gehallt waren, die Wächterin zur Vernunft gebracht. Sie öffnete ihnen die Tür.
    »Die Priorin!«, keuchte Richard. »Wir müssen zu ihr!«
    Die Hand der Priorin zuckte vor. Katharina vermochte nicht, den Blick von der funkelnden Nadelspitze zu lassen. Wieder dachte sie an Richards Erklärung über die Art und Weise, wie Heinrich gestorben war. Das Metall war ihm bis ins Gehirn gefahren ...
    Katharina riss den Kopf zur Seite. Die Nadel verfehlte ihr Auge, ritzte über ihre Wange. Ein spitzer Schmerz flammte auf, ließ ihre Augen tränen.
    »Halt still!«, kreischte Kunigunde. »Wenn aber dein rechtes Auge dir Anstoß gibt, so reiß es aus und wirf es von dir; denn es ist besser für dich, dass eins deiner Glieder umkomme, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen werde!«
    Katharina strampelte, um sich die Wahnsinnige vom Leib zu halten.
    In diesem Moment flog die Tür auf und prallte mit einem Krachen gegen die Wand.
    »Lass sie in Ruhe!«, brüllte Richard.
    Kunigunde fuhr halb herum, so dass Katharina ihr Profil sehen konnte. Sie hatte den Mund weit aufgerissen, die Augen ebenfalls. Die Nadel lag in ihrer Hand wie der Stachel eines tödlichen Insekts.
    »Fort!«, fuhr sie Richard an. Ihre Stimme schien sich verwandelt zu haben, wirkte tiefer, kraftvoller.
    Katharina erschauderte.
    Und dann geschah es. Kunigundes Arm ruckte hoch. Sie kreischte so voller Schmerz und Entsetzen, dass Katharina sich am liebsten die Ohren zugehalten hätte. Dann erst, einige Herzschläge später, begriffKatharinas Verstand, was die Priorin tat: Mit der flachen Hand trieb sie sich die Nadel in das eigene Auge!
    Ein letztes Mal schlug Kunigunde gegen die Nadel. Dann bäumte sie sich wie von einem Pfeil getroffen auf. Ein Zucken durchlief ihren gesamten Körper.
    Und schwer krachte sie zu Boden.
    Noch einmal erbebten all ihre Glieder. Dann lag sie still. Die Nadel ragte aus ihrem Gesicht wie ein Pfahl.
    Katharina würgte. Ihr wurde schwarz vor Augen, doch nur kurz, und als sie wieder zu sich kam, da war Richard bei ihr. Er hatte sie an sich gezogen, hielt sie umfangen und wiegte sie wie ein Kind.
    »Du lebst!«, flüsterte er ihr ins Ohr, wieder und wieder. »Du lebst!«
    Katharina legte die Stirn gegen seine Schulter.
    Jemand betrat das Gemach, aber sie wollte nicht sehen, wer es war. Nur an der Stimme erkannte sie Arnulf. Grimmig sagte er: »Sieht so aus, als wäre es überstanden.«

26. Kapitel
    25. November 1491 n.Chr.
    Katharina stand im Flur des Fischerhauses und blickte Lukas an.
    »Bist du sicher, dass du Nürnberg verlassen willst?«, fragte sie. Sie verspürte Bedauern. Sie hatte Lukas ins Herz geschlossen, und auch wenn er sie wieder und wieder an Egbert erinnerte, tat es doch gut, ihn um sich zu haben mit seiner besonnenen Art und dem ruhigen Lächeln, das er meistens im Gesicht trug.
    Tags zuvor hatte Katharina ihre Mutter ins Heilig-Geist-Spital gebracht, wo diese einen Pfündnerinnen-Platz erhalten hatte. Katharina konnte es sich jetzt leisten, Mechthild dies zu bezahlen, denn der Geldbeutel, den Egbert ihr hinterlassen hatte, beinhaltete ein kleines Vermögen.
    Traurig sah sie Lukas an. Wenn er jetzt auch noch gehen würde, wäre sie ganz allein in diesem riesigen, mit schlimmen Erinnerungen belasteten Haus.
    Er lächelte schwach. Auch er wirkte betrübt. »Ich glaube, es ist besser so. In Köln gibt es noch die Hinterlassenschaft meines Vaters. Um die muss ich mich kümmern.« Ein düsterer Ausdruck erschien in seinen Augen, als er das sagte.
    Katharina zögerte, doch dann sprach sie aus, was sie beide dachten: »Glaubst du, dass Egbert deinen Vater umgebracht

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