Cherubim
waren nicht verdickt, stellte sie fest. Und gebot sich selbst Einhalt. Mit großem Unbehagen fragte sie: »Habt Ihr keine Angst?«
Kunigunde hob eine Augenbraue. Weil der Nonnenschleier ihr so tief in die Stirn gezogen war, dass seine Kante die feinen blonden Haare beinahe berührte, bildete sich eine tiefe Falte in ihrer Haut. »Angst? Wovor denn bloß?«
»Vor wenigen Wochen war ich noch angeklagt, eine Hexe zu sein.« Schwester Aurelia wusste davon, also schien es unmöglich, dass nicht auch Kunigunde dieses Wissen besaß. Dennoch ertappte Katharina sich dabei, dass sie voller Anspannung auf eine Reaktion der Priorin wartete.
Die lachte leise. »Ich weiß! Die Anklage erging von der weltlichen Gerichtsbarkeit. Was schert mich die?« Sie beugte sich ein wenig vor. »Abgesehen davon: Ihr seid freigesprochen worden, oder etwa nicht?«
Katharina nickte.
»Ich habe mich über Euch erkundigt«, gestand Kunigunde.
»Bei wem?« Wieder glitten Katharinas Blicke über die Finger der Priorin. Sie bewegte sie fast unablässig, ballte sie zur Faust, öffnete sie wieder, als lindere das die Schmerzen in den Gelenken.
»Bei Bruder Johannes. Und auch bei Doktor Schedel, seinem Bruder, dem Stadtmedicus.«
Katharina stellte sich vor, wie Hartmann Schedel in dem kleinen Gelass am Klostereingang auf dem hochbeinigen Schemel saß und durch das Gitter mit Kunigunde redete.
»Beide haben für Euch gebürgt«, sprach die Priorin weiter. »Sie halten Euch für eine hervorragende Heilerin. Mir ist es also egal, was der Stadtrat von Euch denkt.«
»Hartmann Schedel«, murmelte Katharina. Sie sah den Medicus vor sich, seine etwas rundliche Gestalt und die flinken hochintelligenten Augen, mit denen er alles zu durchdringen schien, was ihm über den Weg lief.
Kunigunde lächelte matt. »Er hat mir von seinem Angebot an Euch erzählt.«
»Angebot?« Katharina strich sich eine Haarsträhne aus den Augen. Dann fiel ihr ein, wovon die Priorin sprach. Nachdem der Befehl des Stadtrates ergangen war, dass sie ihre Tätigkeit als Heilerin mit sofortiger Wirkung einstellen sollte, hatte Hartmann Schedel sie zu sich in sein Haus rufen lassen. Er hatte ihr angeboten, ihre wirksamen Heiltränke in Zukunft für ihn zu brauen und ihr gutes Geld dafür geboten.
»Ich darf keine Medizin mehr herstellen«, meinte Katharina. »Das habe ich ihm gesagt.«
Wieder lachte Kunigunde. »Und es war ihm so gleichgültig wie mir, oder?«
»Er meinte nur, es müsste ja niemand wissen. Aber ich weiß nicht, ob es klug ist, sein Angebot anzunehmen. Die Leute sind nichtdumm. Wenn er plötzlich Medizin besitzt, die er vorher nicht hatte, werden sie Fragen stellen, woher er sie hat. Außerdem darf er selbst gar keine Heiltränke verkaufen.«
In Nürnberg war es streng geregelt, wer welche Aufgabe zu erfüllen hatte. Die Ärzte behandelten die Menschen, aber das Brauen von Heiltränken und das Herstellen von Salben und anderen Tinkturen war den Apothekern vorbehalten. Und die achteten sorgfältig darauf, dass ihnen dieses Recht niemand streitig machte.
»Ihr habt also sein Angebot noch nicht angenommen?«, erkundigte sich Kunigunde.
Katharina schüttelte den Kopf. Sie hatte schon nächtelang darüber nachgegrübelt, aber bisher hatte sie einfach nicht den Mut gefunden, es zu tun. Außerdem gab es noch einen anderen Grund für ihre Zögerlichkeit.
»Warum nicht?«, fragte Kunigunde.
»Ich weiß nicht genau.« Katharina zuckte die Achseln. Sie blickte der Priorin in die Augen, und plötzlich hatte sie das Gefühl, zu dieser Frau absolut ehrlich sein zu können. Schwach lächelnd sagte sie: »Zum einen wage ich es aus den genannten Gründen nicht, obwohl es meine Geldnöte wahrscheinlich beheben würde. Was, wenn es herauskommt, dass ich den Befehl des Rates missachte?« Sie dachte an das Lochgefängnis und schauderte. »Aber es gibt noch einen anderen Grund.«
»Und der ist?«
»Es bereitet mir Probleme, mein Wissen in den Dienst eines anderen zu stellen. Wenn ich für Doktor Schedel arbeite, darf niemand erfahren, dass ich es bin, die die Tränke herstellt. Ich weiß, es ist eine Sünde, aber ich kann einfach nicht anders empfinden. Ich möchte die Dankbarkeit der Menschen spüren, den Glanz in ihren Augen, wenn sie sich besser fühlen.«
Kunigunde neigte leicht das Haupt. »Die Sünde der Hoffart«, lächelte sie. »Ich muss gestehen, dass sie Euch mir sehr sympathisch macht. Ihr wisst, was Ihr könnt, und Ihr möchtet die Anerkennung dafür. Ich kann
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