Cherubim
Euch gut verstehen.«
Für einen Moment blickten sie sich an, und es war ein tiefes Einverständnis zwischen ihnen.
Katharina unterbrach den Blickkontakt als Erste. »Ich danke Euch!«, murmelte sie und senkte den Kopf.
Kunigunde streckte ihr ihre Hände entgegen. »Jetzt lasst uns mit dem Reden aufhören!«
Katharina zögerte nun nicht mehr. Nochmals tastete sie die Finger der Priorin mit den Blicken ab. Dann griff sie zu, befühlte jedes Gelenk einzeln, bewegte es erst vorsichtig, dann zunehmend stärker.
Schließlich verzog Kunigunde schmerzhaft das Gesicht.
»Wie äußert sich der Schmerz?«, fragte Katharina. »Ist er brennend, stechend? Oder pochend?«
»Es brennt.« Kunigunde hatte nachdenken müssen, bevor sie antwortete. »Aber nur für kurze Momente. Dann merke ich wiederum lange Zeit gar nichts.«
»Woraus besteht Eure Nahrung gewöhnlich?«
Kunigunde beschrieb es ihr. Ebenso wie die Einrichtung des Klosters von großer Kargheit war, so war es auch das Essen, das die Nonnen erhielten. Hauptsächlich bestand es aus Haferbrei und dunklem Brot mit Käse. Fleisch und Wein gab es nur an hohen Feiertagen.
»An der Ernährung kann es nicht liegen«, meinte Katharina, nachdem die Priorin ihre Mahlzeiten geschildert hatte. Sie durchforschte ihr Gedächtnis nach allem, was Egbert, ihr Mann, ihr über die Krankheit der Gicht beigebracht hatte. Eigentlich war es ein Gebrechen, das dicke und alte Menschen befiel. Die Priorin hingegen war dünn. Auch schien sie noch nicht alt genug, um unter dieser Krankheit zu leiden.
Nachdenklich rieb Katharina sich den Unterkiefer.
»Könnt Ihr mir helfen?«, fragte Kunigunde.
»Ich kann es versuchen. Ich habe noch ein wenig einer Medizin, die ich im Sommer für eine Frau des Stadtadels hergestellt habe. Sie litt unter ähnlichen Symptomen wie Ihr. Man muss die schmerzenden Gelenke damit einreiben. Wir könnten ausprobieren, ob Euch das hilft.«
Kunigunde nickte. »Tun wir das!« Sie erhob sich, und Katharina nahm es als Zeichen dafür, dass sie nun entlassen war.
Sie stand ebenfalls auf. »Ich muss nach Hause gehen und es holen.«
»Gut.« Kunigunde trat zur Tür und öffnete sie. Ein freundliches Lächeln lag auf ihrem Gesicht. »Ich danke Euch! – Schwester Agathe!«, rief sie dann den Gang hinunter.
Katharina neigte den Kopf. »Warten wir ab, ob es einen Grund zum Danken gibt.«
Eine Nonne kam, die mit ihrem verkniffenen Gesicht überaus missgünstig aussah.
»Schwester Agathe wird Euch hinausbegleiten«, sagte Kunigunde zu Katharina.
Schwester Agathe war das genaue Gegenteil von Aurelia. Wo Aurelia fröhlich geplaudert hatte, starrte Agathe schweigend und finster vor sich hin, und Katharina konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es kein lebendiges Wesen war, das neben ihr herging, sondern ein halb durchsichtiger Geist.
Sie kamen an dem Säulengang vorbei. Die beiden Gärtnerinnen waren fort, und sie hatten ihre Schützlinge, die Bäume, als eigenartig verkrüppelte Gestalten zurückgelassen. Katharina konnte sich nicht vorstellen, dass diese kümmerlichen Strünke im nächsten Frühling tatsächlich wieder austreiben würden. Aber andererseits hatte sie nicht die geringste Ahnung von der Gärtnerei. Vielleicht brauchten ja diese Pflanzen einen so brutalen Schnitt? Achselzuckend wandte Katharina sich von dem Anblick ab, der sie ein wenig traurig stimmte, und eilte hinter Agathe her. Die hatte inzwischen die Stelle erreicht, an der der Gang zweimal um die Ecke führte.
Schritte näherten sich ihnen von vorn, und da der Gang an dieser Stelle recht schmal war, blieb die Nonne stehen, um nicht mit dem entgegenkommenden Menschen zusammenzustoßen.
Zu Katharinas Überraschung war es ein Mann, der gleich darauf vor ihr stand. Und zu ihrer noch größeren Überraschung kannte sie ihn.
»Bruder Johannes!«, entfuhr es ihr.
Der Mönch hatte sie kaum wahrgenommen, und ihr Ausruf erschreckte ihn. Er zuckte zusammen und kehrte wie aus tiefster Grübelei zurück in die Gegenwart. Es dauerte einen Moment, bevor er Katharina erkannte. Dann jedoch wanderten seine Augenbrauen überrascht in die Höhe. »Frau Jacob?« Er wirkte verblüfft, aber alsKatharina ihn nickend anlächelte, glitt ein freudiger Ausdruck über sein Gesicht. Er war in den vergangenen Monaten etwas dünner geworden, und Katharina stellte sich vor, wie die Erinnerungen an die Ereignisse aus dem August auch an ihm zehrten. Ein leichter Bartschatten lag auf seinen Wangen, und die Haare hingen ihm
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