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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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überlegte sie, ob sie ihn danach fragen sollte, doch dann entschied sie sich dagegen. Sie musste nach vorn blicken, nicht zurück, sonst würde sie noch im Nachhinein den Verstand verlieren.
    Fieberhaft überlegte sie, was sie sagen sollte, doch Bruder Johannes kam ihr zuvor. »Es ist eine seltsame Fügung Gottes«, murmelte er, »dass ich ausgerechnet Euch heute hier treffe.«
    Katharina runzelte die Stirn. »Warum?«
    »Nun.« Dies schien sein neues Lieblingswort zu sein. »Es gibt da einen Mann. Sein Name ist Krafft, und er leistet mir ab und an, sagen wir, gewisse Dienste.« Die Röte auf Johannes’ Gesicht vertiefte sich, als ihm gleichzeitig mit Katharina aufging, wie zweideutig seine Worte waren. »Ich meine, nicht, dass Ihr denkt, ich täte irgendetwas Unzüchtiges, ich ... wollte nur sagen, dass ...« Hilflos hob er die Arme und kehrte die Handflächen nach oben. Dann rang er die Hände. »Herr im Himmel, hilf!«, flehte er in fast komisch anmutender Verzweiflung.
    Katharina konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.
    »Es handelt sich dabei um ein sehr menschliches Bedürfnis ...«, versuchte er einen zweiten Anlauf.
    Katharina beschloss, ihn aus seiner Not zu befreien. Zu gut erinnerte sie sich noch daran, wie häufig Bruder Johannes unter seinen menschlichen Bedürfnissen litt. Zwar hatte er ihr gegenüber natürlich niemals davon geredet, aber sie hatte oft genug bemerkt, wie er unruhig von einem Bein aufs andere trat, und sie hatte ihre Schlüsse gezogen. Ihrer Meinung nach litt Bruder Johannes unter einer Schwäche der Harnblase. »Ihr redet von einem der Abtrittanbieter der Stadt?«, half sie nach.
    Erleichtert nickte er. »Ja!«, rief er aus. »Genau!« Seine Schultern sackten nach vorn, und kurz wirkte er erschöpft. Dann lächelte er schief. »Dieser Mann, dieser Abtrittanbieter ... Raphael Krafft ... Ich bin des öfteren gezwungen, seine Dienste in Anspruch zu nehmen, weil ... nun, Ihr wisst ja offenbar Bescheid.« Die Röte verging und machte einer leichten Blässe Platz. Gleichzeitig biss Johannes sich auf die Unterlippe.
    Katharina spürte, wie sich etwas in ihr anspannte. Irgendetwas sagte ihr, dass sie das, was nun kommen würde, lieber nicht hören wollte, doch sie war nicht in der Lage, dem Plappern des Mönchs Einhalt zu gebieten.
    »Jedenfalls«, redete er hastig weiter, »ich benötige die Dienste von Krafft häufig genug, dass wir eine Art, nun, sagen wir, ein Vertrauensverhältnis entwickelt haben. Ab und an erzählt er mir Dinge, die er eigentlich seinem Beichtvater ... Ihr wisst, was ich meine.«
    Langsam nickte Katharina. Die Vorstellung, wie Bruder Johannes die Dienste dieses Mannes in Anspruch nahm, wie er sich in einer dunklen Ecke auf einen Eimer hockte und den großen Umhang um sich geschlungen bekam, war nicht eben angenehm. Aber sich dazu auch noch vorzustellen, wie Johannes dem Mann gleichzeitig eine Art Beichte abnahm, kam Katharina geradezu absonderlich vor.
    Ihre Blicke huschten über die Wand hinter Johannes, und sie fühlte, wie die Anspannung in ihr wuchs. Auf einem Vorsprung über der rechten Schulter des Mönchs war die Engelsstatue angebracht, die Katharina zuvor schon aufgefallen war. Die Arme hatte sie segnend ausgebreitet. Und ihre Flügel waren aufgespannt wie die eines Schwans. Katharina wandte den Blick ab.
    Johannes hatte in der Zwischenzeit weitergeplaudert, ohne ihr Abschweifen zu bemerken. »... jedenfalls er hat mir vorhin erst erzählt, dass er in einer Ruine an der Frauentormauer eine ... verstümmelte Leiche gefunden hat. Er ...«
    Abwehrend hob Katharina die Hände und trat einen Schritt zurück. Der Engel über Johannes’ Schulter schien die Arme plötzlich nicht mehr segnend ausgestreckt zu haben, sondern er wollte sie damit einfangen. Sie bekam keine Luft mehr. »Lasst mich mit verstümmelten Leichen in Ruhe!«, keuchte sie.
    Johannes starrte sie überrascht an »Entschuldigt!«, rief er aus. »Ich bin so ein Narr!«
    Katharina rang nach Atem. Sie fühlte sich wie unter Wasser, und all die Erinnerungen, die sie mit Macht in den hintersten Winkel ihres Gedächtnisses verbannt hatte, drohten sie zu überwältigen. Mit zitternden Händen griff sie in die Falten ihres Rockes und versuchte, sich daran Halt zu verschaffen. »Bringt mich einfach hier raus«, brachte sie hervor.
    Johannes schien erleichtert, dass sie nicht über ihn herfiel und ihn beschimpfte. »Natürlich!« Rasch wedelte er mit der Rechten in Richtung Türhäuschen. »Hier geht es

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