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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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vor, in unserem Nürnberger Eiskeller zu leben?« Er tat, als schaudere er vor Kälte zusammen, obwohl die Gaststube gut geheizt war.
    Richard lächelte erneut. »Nürnberg hat seine Vorteile«, meinte er, und wieder musste er an Katharina denken. Er fuhr sich mit der Zunge in den Mundwinkel.
    »Was denkt Ihr denn nun über die Juden und ihre Geldverleiher?«, erkundigte sich der Mann mit der Schweißschicht auf der Stirn.
    Mullner, der wusste, dass Richard seine Begleiter nicht kannte,stellte beide vor. Der Schwitzende hieß Harald Kirchner, der mit dem Ausschlag Hans Segers.
    Richard musterte beide, bevor er vorsichtig die Achseln zuckte. Besser, er schwieg zu diesem Thema, dachte er. Sich über die Juden auszulassen ähnelte einem Tanz auf ziemlich dünnem Eis.
    Mullner trank einen Schluck von seinem Bier. Mit dem Handrücken wischte er sich den Schaum von der Oberlippe. »Kirchner meinte gerade, dass der Stadtrat ein Gesetz gegen jüdische Geldverleiher erlassen sollte. Ich dagegen denke: Das wird nicht so einfach sein.«
    »Kirchner hat recht«, widersprach Segers. »Wenn wir weiterhin tatenlos zusehen, wie dieses Pack unseren Obersten das Geld aus den Taschen zieht, befindet sich Nürnberg bald ganz in ihren Händen. Wer kann schon noch sicher sein, ob sie nicht längst Teile des Stadtrates kontrollieren?«
    Mullner verzog das Gesicht. »Das Problem sind doch gar nicht die Geldverleiher unter ihnen, sondern jene Teufel, die vorhaben, jeden einzelnen Christen in Nürnberg zu verderben! Ich meine, wir haben dafür gesorgt, dass die großen Brunnen bewacht werden, damit nicht noch einmal so etwas passiert wie im August. Aber es gibt einfach zu viele Orte, an denen die Bürger sich Wasser holen können. Unmöglich, jeden Einzelnen davon bewachen zu lassen.«
    Richards Gedanken wanderten zum Sommer zurück. Ein Irrer hatte damals die weitverzweigten Wasserleitungen unter der Stadt benutzt, um einen Großteil der Nürnberger Brunnen mit einem Gift zu versehen, das die Menschen in die Raserei getrieben hatte.
    Richard seufzte. »Ihr wisst schon, dass der Mann, der im August die Brunnen vergiftet hat, Christ war, oder?«, sagte er.
    Mullner blickte ihn von unten herauf an.
    Kirchner nickte. »Es weiß aber auch jeder, dass der Kerl dem Wahnsinn verfallen war. Und da stellt man sich doch die Frage, wer ihn mit diesem Wahnsinn geschlagen hat.«
    Einmütig zustimmende Mienen rings herum zeigten Richard, dass die anderen am Tisch seine Gedankengänge teilten. Es gab nur wenige Bürger, die nicht der Ansicht waren, dass eigentlich die Juden hinter der Brunnenvergiftung steckten. Bisher war es zu keinerleiAusschreitungen gekommen, doch Richard erfüllte das Gespräch der Bürgermeister mit Sorge, denn wenn sogar hochgestellte, und man sollte meinen auch kluge Männer anfingen, gegen die Juden zu hetzen, dann war es nur noch eine Frage der Zeit, bis es zu den ersten Gewalttaten kam.
    Er hing eine Weile seinen eigenen Gedanken nach, und darum bemerkte er erst, dass die anderen sich längst neuen Themen zugewandt hatten, als das Gespräch auf den Türmer von St. Sebald kam. An dieser Stelle horchte er auf.
    »Was glaubt Ihr, warum läutet der Mann nicht mehr?«, fragte Mullner gerade.
    Kirchner fuhr sich mit der Handfläche über die Kehle. »Vielleicht hat ihn der Schlag getroffen.«
    »Silberschläger hat einen Büttel raufgeschickt, um nach dem Rechten zu sehen«, erzählte Mullner. »Ich hatte aber noch keine Gelegenheit, ihn zu fragen, was dabei rausgek...«
    Die Gaststubentür öffnete sich, und ein Mann betrat den Raum, bei dessen Anblick Mullner sich mitten im Wort unterbrach. »Wenn man vom Teufel spricht!«, rief er aus und winkte dem Neuankömmling. »Silberschläger! Wir sind hier!«
    Der Mann wirkte nicht besonders begeistert darüber, Mullner und die anderen hier zu treffen. Kurz hatte Richard sogar den Eindruck, als spiele er mit dem Gedanken, einfach auf dem Absatz kehrtzumachen und das Gasthaus wieder zu verlassen. Dann jedoch besann er sich eines Besseren und trat an den Tisch.
    Mit einem knappen Nicken grüßte er alle Anwesenden. Er war kleiner als Richard, doch er machte das durch eine überaus massige Gestalt wett. In Richards Augen wirkte er wie ein Stier, kraftvoll, aber auch gefährlich. Seine Haare hatten einen leichten Grauschimmer, obwohl er, seinem völlig faltenlosen Gesicht nach zu urteilen, noch nicht sehr alt sein konnte. Seine Augen hatten einen verwaschenen Grauton ebenso wie seine Zähne, die

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