Cherubim
verstehe ich nicht.«
Da seufzte der Bürgermeister. »Sind wir uns einig, dass die Juden insgeheim planen, die Macht in Nürnberg zu übernehmen? Dass sie vorhaben, die gottesfürchtigen Bürger zu verderben?«
Eberlein dachte nach. »Ja«, meinte er dann, doch er klang unsicher.
»Überlegt doch! Denkt an die vergifteten Brunnen im August!«
»Da steckten die Juden dahinter?« Eberlein riss die Augen auf.
Silberschläger hätte ihn am liebsten gepackt und geschüttelt, doch er verkniff sich jede Regung von Ungeduld. »Sagt mir nicht, dass Ihr das nicht wusstet!«, rief er mit gespielter Entrüstung aus.
In Eberleins Gesicht nahm die Unsicherheit zu. »Ich ... na ja. Wenn man es recht bedenkt ...«
»Eben! Es ist sicher, dass Nürnberg durch das Judenpack eine große Gefahr droht. Und es ist ebenso sicher, dass wir keine Möglichkeit haben, den Mord an dem Mann in der Türmerstube aufzuklären. Also: zwei Fliegen mit einer Klappe!«
»Ihr plant ... den Juden den Mord anzuhängen!« Verstehen leuchtete in Eberleins Miene auf.
»Genau! Aber ich würde es nicht anhängen nennen. Ich tue nur meine Pflicht: Ich stelle die gottgewollte Ordnung wieder her, die durch den Mord ins Wanken geraten ist, indem ich dem Stadtrat einen Mörder präsentiere. Eine ganze Gruppe, um genau zu sein.«
»Die Juden.«
Einen Moment lang schwiegen sie beide.
»Aber ich verstehe immer noch nicht, warum wir den Toten in das Grab legen mussten!«, sagte Eberlein dann.
Silberschläger unterdrückte ein Seufzen. »Überlegt doch: Eine fast verweste Leiche in der Türmerstube oder eine fast verweste Leichein einem Heiligengrab und in der Türmerstube ein in die Dielen geritzter Davidstern. Was klingt in Euren Ohren beängstigender?«
Eberlein wollte den Mund öffnen, um zu antworten, aber Silberschläger kam ihm zuvor. »Eben! Wenn wir den Fundort dieser Leiche öffentlich bekanntgeben, wird das genügend Unruhe unter den Bürgern verursachen, um über kurz oder lang im Rat einen Antrag zu stellen, die Juden endlich aus der Stadt zu vertreiben. Wie 1349 schon einmal.«
»Aber dieser Sterner? Warum musste er dabei sein?«
Silberschläger hatte Eberlein kurz bevor sie den Toten aus der Türmerstube geholt hatten, davon erzählt, dass er vorhatte, Richard Sterner mit in die Türmerstube zu nehmen.
»Als unabhängiger Zeuge«, erklärte Silberschläger. »Er ist ein Mann von hohem Rang. Sein Wort sollte etwas zählen, wenn ich ihn als Zeugen dafür berufe, dass die Leiche wie von Zauberhand verschwunden ist.« Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Dachte ich wenigstens.«
»Was soll das heißen?« Eberlein rutschte auf seinem Stuhl nach vorn. Er schien zu spüren, dass nicht alles so ganz nach Plan verlaufen war.
»Nun. Es war recht einfach, ihn zum Kommen zu bewegen, was ich gar nicht vermutet hätte. Aber dann wollte er meinen Überlegungen nicht folgen, als ich sagte, dass die Leiche fortgezaubert worden ist. Scheint ein ziemlich Ungläubiger zu sein, was die Zauberei angeht. Das hätte ich wissen müssen, aber egal! Es ist mir gelungen, ihn doch noch zu überzeugen, dass Leichenzauberei der Hintergrund für diesen Mord ist. Dann allerdings hat er wie ein Bluthund die Spur der Leiche aufgenommen.«
Eberlein schaute fragend.
»Er hat sie in dem Grab gefunden«, erläuterte Silberschläger. »Ihr hättet das Gesicht von Flechner sehen sollen, als die Leiche aus dem Heiligengrab gepurzelt ist!« Dieser Anblick entschädigte ihn fast dafür, dass sein so sorgsam ausgeklügelter Plan durch Sterner ein wenig aus dem Ruder gelaufen war. Ursprünglich hatte er vorgehabt, die Stimmung in der Stadt wegen einer verschwundenen Leiche erst richtig anzuheizen, bevor diese Leiche dann ein paar Tagespäter im Heiligengrab gefunden werden würde. Aber durch diesen Plan hatte Sterner ihm einen Strich gemacht. Doch wenn Silberschläger es nun recht überlegte, war das gar nicht so schlimm.
Den gewünschten Effekt würde der Fund auch jetzt schon zeitigen. Sie mussten es nur geschickt anstellen.
Silberschläger deutete auf die Tür, ein Zeichen für den Büttel, dass das Gespräch nun beendet war. »Geht und führt ein paar vertrauliche Gespräche!«, befahl er. »Ihr kennt Eure Männer. Sucht Euch die aus, die allzu gern bereit sind, bösen Gerüchten über die Juden Glauben zu schenken, und flüstert ihnen zu, wo Sterner die Leiche gefunden hat. Heiligengrabschändung!« Er kicherte zufrieden. »Das ist ein böses Verbrechen!«
Katharina
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