Cherubim
betrat das Rathaus durch das Tor, das der Sebalduskirche gegenüberlag. Sie umrundete ein paar hölzerne Hürden und steuerte auf ein kleines Gelass neben der Eingangstür zum Rathaus zu, in dem ein Schreiber Dienst als Türwächter hatte.
Neben dem Schreiber stand ein Mann in der Uniform der Stadtbüttel und unterhielt sich angeregt mit ihm.
»... wie das gestunken hat«, hörte Katharina ihn sagen. »Als hätte die Hölle selbst sich aufgetan.«
In einigem Abstand blieb sie stehen und wartete darauf, dass die beiden Männer ihr Gespräch beendeten.
Der Büttel beugte sich vertrauensselig vor und flüsterte dem Schreiber etwas zu. Dessen Miene bekam etwas Entsetztes, und er wurde bleich. Rasch richtete der Büttel sich wieder auf. »Aber verrat niemandem, dass ich dir das erzählt habe!«, bat er. »Silberschläger fürchtet, dass die Leute ... du weißt schon!«
Der Schreiber nickte eilig. Katharina wusste nicht, wovon die beiden gesprochen hatten, aber etwas sagte ihr, dass der Büttel ein vertrauensseliger Trottel war. Schon jetzt war in den Augen des Schreibers zu lesen, dass er das soeben Erfahrene weitertratschen würde.
»Ich verlasse mich auf dich!« Der Büttel tippte sich an die Stirn, dann wandte er sich zum Gehen. Dabei stieß er beinahe mit Katharina zusammen. »Oh!«, machte er. »Entschuldigt!«
Im nächsten Moment war er durch das Tor hindurch und aus Katharinas Blicken entschwunden.
Mit einem freundlichen Lächeln, das hoffentlich die Nervosität überdeckte, die sie an diesem Ort empfand, grüßte sie den Schreiber.
Dessen schmales, blasses Gesicht blickte ihr entgegen. Aus kleinen, missgünstigen Augen starrte er Katharina an. »Was wollt Ihr?«, fragte er barsch. Seine Lippen waren mit Tinte verschmiert.
Katharina nannte dem Mann ihren Namen. Dann besann sie sich auf die Dinge, die sie über die Organisation des Rathauses wusste. »Der Nachfolger von Bürgermeister Zeuner«, meinte sie zaghaft. »Wie heißt er?«
Der Schreiber zog die Augenbrauen zusammen. Die Tintenflecke auf seinen Lippen wirkten wie die Male einer gefährlichen Krankheit. Katharina richtete den Blick auf seine ebenfalls tintenverschmierten Finger.
»Ihr meint den zur Zeit amtierenden Lochschöffen, oder was?«
Katharina nickte. »Ich muss mit ihm reden.«
»Er hat zu tun, Frau!«
»Es geht um seine Arbeit.« Katharina zwang sich, ruhig zu bleiben. »Es ist wichtig. Wie ist denn nun sein Name?«
»Silberschläger«, war die mürrische Antwort. »Aber ich sagte Euch schon, er hat zu tun.«
Katharina holte tief Luft, um die aufsteigende Ungeduld zu bezähmen. »Wo kann ich ihn finden?«
Der Schreiber setzte zu einem Kopfschütteln an, aber Katharina fügte ihren Worten hinzu: »Es geht um einen Mord.«
Das machte einigen Eindruck. Die Augen des Schreibers weiteten sich, kurz flackerte Unbehagen hinter seinem kühlen Blick auf, wurde jedoch sofort wieder von seiner überheblichen Art überlagert. »Wisst Ihr etwas über die Grabschändung?«, fragte er fast atemlos.
»Grabschändung?« Die Gegenfrage war heraus, bevor Katharina sich eines Besseren besann. Vielleicht wäre sie mit einem schlichten Ja einfacher ans Ziel gelangt. Doch nun war es zu spät.
Der Schreiber winkte sie zu sich heran. Er platzte förmlich vor Eifer, Katharina sein Wissen mitzuteilen. »Ich habe es eben erstgehört. Man munkelt, dass vorhin eine Leiche im Sebaldusgrab gefunden wurde.«
Hatte sie den unangenehmen Kerl also richtig eingeschätzt! Das Geheimnis des Büttels war bei ihm genau ein halbes Dutzend Herzschläge lang sicher gewesen!
Der Mann schauderte so sehr zusammen, dass seine magere Gestalt durchgeschüttelt wurde. »Wenn bloß die Engelmorde nicht wieder losgehen!«
Bei der Erwähnung der Engelmorde bildete sich ein Eisklumpen in Katharinas Magen. Sie überlegte noch, was sie erwidern sollte, aber da nickte der Schreiber bereits in Richtung der Rathaustür. »Bürgermeister Silberschläger hat seine Amtsstube im zweiten Stock.«
»Ist es dieselbe, die Jörg Zeuner früher innehatte?«
Der Schreiber bejahte.
»Die finde ich. Ich danke Euch!«
Sie wandte sich der verzierten Tür zu und hatte sie schon fast erreicht, als einer ihrer Flügel aufgestoßen wurde und ein anderer Schreiber ins Freie trat. Höflich hielt er Katharina die Tür auf.
»Paul!«, hörte sie den Kerl in seinem Holzverschlag rufen. »Komm mal her, ich muss dir unbedingt was ...«
Der Rest seiner Worte wurde abgeschnitten, als die schwere Tür
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