Cherubim
zu komplimentieren. Erst als alle fort waren, öffnete Bruder Friedrich auch das zweite Schloss. Dann trat er zurück und sah Flechner an, als wollte er sagen: Begeht Ihr diesen Frevel! Ich will damit nichts zu tun haben!
Flechner seufzte. Dann beugte auch er sich über das Metallgitter. Und öffnete das Schreingehäuse.
Ein länglicher, in eine starre Lederplane gewickelter Körper rollte heraus. Mit einem furchtbaren Geräusch, das an das leise Stöhnen einer verdammten Seele erinnerte, kam er auf den Steinplatten der Kirche zu liegen.
Flechner prallte zurück, denn gleichzeitig mit dem Bündel kam ihm eine Ratte entgegengesprungen. Sie landete mit einem leisen Klatschen auf der Erde und suchte dann so schnell wie möglich das Weite.
»Herr im Himmel!«, stöhnte einer der Priester. Und ein weiterer stieß ein kurzes Stoßgebet aus, während er sich bekreuzigte.
Richard versagte es sich, triumphierend zu nicken. Er hatte in Erwartung des Kommenden den Ärmel über Mund und Nase gelegt, und darum war ihm der Leichengestank, der aus dem Schreingehäuse drang, erträglicher. Mehrere Löcher waren in die Plane genagt worden.
»Das ist Frevel!«, hörte er jemanden murmeln. Das Blut hatte begonnen, in seinen Adern zu rauschen. »Grabschändung! Blasphemie!«
Das Gejammer setzte sich noch eine geraume Zeit fort, aber Richard verzichtete darauf, länger zuzuhören. Er ging zu einer der Kirchenbänke, setzte sich darauf nieder und stützte den Kopf in die Hände. Doch von einer furchtbaren Unruhe getrieben, sprang er sogleich wieder auf. »Seid Ihr jetzt zufrieden?«, fragte er Silberschläger. »Niemand hat Eure Leiche fortgezaubert.«
Der Bürgermeister beachtete ihn nicht. Er starrte mit versteinerter Miene auf die Leiche vor dem Schreingehäuse, und hinter seiner Stirn schienen die Gedanken zu rasen. Eine tiefe Falte zog sich zwischen seinen Augenbrauen hindurch bis hinunter zur Nasenwurzel.
Und in diesem Moment ergriff ein lange nicht mehr verspürtes Zittern Richards gesamten Körper. Ohne Silberschläger zu fragen, ob er ihn noch brauchte, rannte er aus der Kirche und eilte in Richtung Spittlertorviertel davon.
Es war bereits nach Mittag, als das Laufen ihn so weit beruhigt hatte, dass er zur Besinnung kam. In den vergangenen Stunden war er quer durch Nürnberg gehetzt und befand sich jetzt unterhalb der Kaiserburg, so dass ihn sein Weg von hier aus auf den Großen Markt an der Frauenkirche führte. Sein Blick fiel auf den Schönen Brunnen, der mit seinen Goldverzierungen in der fahlen Wintersonne funkelte. Mit einem Ruck blieb er stehen.
Sein Mund war trocken, und so wollte er die Stufen erklimmen, um einen Schluck zu trinken.
Doch ein Mann sprang ihm in den Weg und legte ihm den Unterarm quer über die Brust. »Halt!«, befahl er. »Was habt Ihr vor?«
Richard blieb stehen und musterte den Mann. Er war in dunkle Gewänder gekleidet, die ihn mehr wie einen Gelehrten denn wie eine Stadtwache aussehen ließen. Ein zierlicher, ebenfalls dunkler Hut mit einer geschwungenen Pfauenfeder saß schräg auf seinem strohblonden Haar. Die Hand des Mannes lag kampfbereit auf dem Griff eines Schwertes, das an seiner Seite hing.
»Ich wollte nur einen Schluck trinken«, erklärte Richard. Im Stillen ärgerte er sich über den Mann, der sich in der Wichtigkeit seiner Aufgabe, den Brunnen vor einer Vergiftung zu beschützen, aufplusterte wie ein Gockel.
Der Mann musterte ihn von Kopf bis Fuß. Dann erst nahm er den Arm fort und trat einen Schritt zur Seite. »Gut.« Während er Richard aufgehalten hatte, waren auf der gegenüberliegenden Seite des Brunnens zwei Jungen die Stufen hinaufgeklettert und hatten aus einem kleinen Beutel ein körniges, hellbraunes Pulver in das Wasser gekippt. Richard machte den Wachmann auf sie aufmerksam, und als sie merkten, dass sie ertappt worden waren, rannten sie kichernd davon.
Fluchend blickte der Wachmann ihnen nach. Das Schwert hatte er inzwischen halb aus der Scheide gezogen.
»Es war nur Sand«, versuchte Richard ihn zu beruhigen. Dieser aufgeblasene Popanz hatte es nicht anders verdient, als dass sich sogar die Kinder über ihn lustig machten, dachte er. »Ihr könnt sowieso nicht alle Brunnen der Stadt bewachen.«
Der Mann reckte sich und präsentierte Richard seine breite Brust. »Wir tun immerhin etwas!«, gab er kühl zurück.
Ja, dachte Richard bei sich. Euch lächerlich machen!
Dann wies der Mann mit dem Kinn auf den Brunnen. »Ich dachte, Ihr wolltet
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