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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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hatte. Diese Stimme war sanft, liebevoll. Und dennoch so überaus beängstigend, dass Maria vor Entsetzen aufschluchzte. Ihre Hand fuhr ziellos durch die Falten ihres Rockes und dann in die Tasche, auf der Suche nach Mimis tröstlicher Nähe. Doch sie fand den Riss im Futter nicht.
    Sie biss die Zähne zusammen, konzentrierte sich. Und dann hatte sie es. Ihre Hand glitt tiefer in die Tasche und dann durch den Schlitz. Mimis Haare waren da, wickelten sich um ihre Finger, als sie die Faust um den Puppenkopf schloss.
    Schau mal, Prinzessin, was ich dir gemacht habe!
    Die sanfte Stimme klang nach Lächeln, nach einem sonnigen Nachmittag kurz vor Beginn des Sabbats, nach frischen Früchten, die sie naschen durfte, und der Gewissheit, dass sie geborgen und geliebt war.
    Du bist Christin!, schrie die kreischende Stimme, und das Gefühl der Wärme zerstob zu Nichts. Christin! Keine dreckige Jüdin! Merk dir das endlich, sonst bläue ich es dir ein, hast du mich verstanden?
    Maria presste sich gegen eine Hauswand. »Lasst mich doch alle inRuhe!«, schrie sie aus voller Kehle, und eine Frau mit ihrem Kind, die eben um eine Ecke gebogen war, zog sich eilends zurück.
    »Mama, was hat die Frau?«, hörte Maria das Kind fragen, doch die Antwort der Mutter, hastig gemurmelt und voller Verunsicherung, war nicht mehr zu verstehen.
    Sie musste weg hier!
    Mit äußerster Kraftanstrengung löste sie sich von der Hauswand und setzte einen Fuß vor den anderen. Ihre Wohnung war nicht mehr weit. Nur noch um diese Kurve, dann die nächste Gasse entlang. Sie ging schneller.
    Dann hatte sie die Tür erreicht. Mit fliegenden Fingern zerrte sie sie auf, hastete die Treppe nach oben und hinein in die Kammer, die sie bis vor kurzem mit Dagmar geteilt hatte.
    Zitternd und schluchzend ließ sie sich auf ihr Bett fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. Irgendwann begann die Stille ihr in den Ohren zu klingeln. Und durch das Klingeln hörte sie das Scharren und leise Gurren der Tauben in ihrem Käfig.
    Weiße Tauben, Prinzessin, sagte die sanfte Stimme in ihrem Kopf. Weißt du, dass sie sie im Tempel opfern, um Adonai um Vergebung für unsere Sünden zu bitten?
    Langsam hob Maria den Kopf. Zwei der Tauben saßen auf ihren Stangen, die anderen beiden hüpften am Boden des Käfigs herum und suchten nach Resten der Körner, die Maria ihnen am Vormittag hingestreut hatte.
    Weiße Tauben sind das Kostbarste, was wir Adonai opfern können.
    Maria stemmte die Fäuste auf ihre Bettkante und erhob sich. Den Blick auf die Tauben in ihrem Käfig gerichtet, zog sie eine der Nadeln aus ihren Haaren, mit denen sie ihre Frisur in Form hielt.
    Kurz nach dem beklemmenden Treffen mit Cornelius war die Nacht über der Stadt niedergefallen. Gleichzeitig hatte es so heftig begonnen zu schneien, dass Katharina sich entschloss, für heute endgültig zurück ins Henkershaus zu kehren.
    In der Hoffnung, Mechthild würde bereits schlafen, zog sie sich Haube und Mantel aus. Beides zusammen hängte sie zum Trocknenvor den kleinen Ofen, der das gesamte Henkershaus mit angenehmer Wärme erfüllte. Sofort begann der Schnee auf den Stoffen zu schmelzen und tropfte leise zu Boden.
    »Kind?« Mechthilds Stimme klang alles andere als verschlafen.
    Mit einem unterdrückten Seufzen streifte Katharina auch noch die Schuhe ab. »Ja, Mutter. Ich komme sofort.«
    »Ich möchte mit dir reden«, sagte Mechthild.
    Katharina ordnete die Falten ihres Mantels neu an, so dass das Kleidungsstück so viel Ofenwärme wie möglich abbekam. Dann betrat sie die Kammer ihrer Mutter.
    Mechthild saß aufrecht in ihrem Bett. Die Hände hatte sie auf der Decke gefaltet, und sie blickte Katharina entgegen, als habe sie bereits seit längerem auf sie gewartet.
    Sofort überfiel Katharina ein schlechtes Gewissen. Sie biss die Zähne zusammen und versuchte, das Gefühl so weit wie möglich von sich zu schieben. Dann trat sie näher und ließ sich zögernd auf der Bettkante nieder.
    »Ludmilla war nochmals da und hat einen Topf Suppe vorbeigebracht. Unten auf dem Herd steht noch etwas davon. Für dich.«
    Katharina nickte knapp. »Danke, aber ich habe keinen Hunger.«
    Mechthild tastete sie mit ihren flinken Blicken von oben bis unten ab. »Du isst viel zu wenig«, bemerkte sie.
    Sie hatte natürlich recht, aber obwohl Katharina das bewusst war, schüttelte sie den Kopf. »Du musst dir keine Sorgen um mich machen«, behauptete sie. Besser, als eine Lüge auszusprechen.
    Mechthild sah skeptisch aus. »Na,

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