Chicagoland Vampires 02 - Verbotene Bisse
hatte, und dazu gehörte auch, dass sie keine lebenslange Haftstrafe im Cook-County-Gefängnis absaß. Mein Großvater hatte alle diplomatischen Tricks anwenden müssen, um die Stadtverwaltung davon zu überzeugen, sie nach Europa ausweisen zu lassen. Das bedeutete für meinen Großvater, der geschworen hatte, der Stadt Chicago zu dienen und sie zu beschützen, jene Vampirin gezwungenermaßen freizulassen, die versucht hatte, seine Enkelin umbringen zu lassen. Selbstverständlich war er sich des Widerspruchs bewusst und wenig begeistert davon. Und Ethan waren die Hände gebunden, weil er dem Greenwich Presidium zur Treue verpflichtet war. Vertrackte Lage – dein Name ist Vampir.
»Der Ursprung der Informationen ist unwichtig, Hüterin, solange wir in ihrem Besitz sind. Wollen wir sie also nutzen?«
Ich verkniff mir ein Grinsen, denn es belustigte mich, dass er wieder zur »Hüterin« gewechselt hatte. Ich war »Merit«, wenn Ethan etwas brauchte, »Hüterin«, wenn er auf meine bissigen Kommentare reagieren musste. Zugegebenermaßen kam Letzteres recht häufig vor.
»Sie werden misstrauisch sein, dass Merit ihren Weg zurück in die Gesellschaft finden will«, war Lucs Hinweis. »Was bedeutet, dass wir uns für sie eine Tarnung einfallen lassen müssen.«
»Nicht nur irgendeine Tarnung«, sagte Ethan, »sondern eine, die sogar ihren Vater überzeugt.«
Schweigend hingen wir unseren Gedanken nach. Als Inhaber von Merit Properties, einer der größten Maklerfirmen in Chicago, hatte mein Vater genügend Erfahrungen als Geschäftsmann gesammelt, um ein Täuschungsmanöver sofort zu durchschauen.
»Wie wäre es mit ein bisschen familiärer Schadenfreude?«, fragte Luc schließlich.
Ethan und ich sahen ihn an. »Erläutere uns das«, befahl Ethan.
Luc runzelte die Stirn, kratzte sich geistesabwesend an der Wange und machte es sich auf dem Sofa gemütlich. »Nun, ich glaube, du hast es eben schon so gut wie erklärt. Sie gehört zu einer der wichtigsten Familien Chicagos, und sie ist jetzt die Hüterin eines der ältesten amerikanischen Häuser. Also spielt sie die jüngste Tochter, die jetzt triumphierend in die Gesellschaft zurückkehrt, die sie früher verachtet hat. Die erste Hürde ist ihr Vater – fangt mit ihm an. Sie lässt es ganz cool angehen, macht einen auf selbstbewusst, distanziert, als ob sie sich endlich die berüchtigte Überheblichkeit der Merits angewöhnt hätte.« Er klatschte zur Betonung in die Hände. »Bumm! Der Patriarch heißt sie in den eigenen Reihen willkommen.«
Ethan öffnete den Mund, schloss ihn und öffnete ihn dann erneut. »Das ist eine sehr interessante Situationsanalyse.«
»Der Denver-Clan wird auf dem Kabelfernsehen als Wiederholung ausgestrahlt«, sagte Luc.
Aha!
Diese Information über den Hauptmann unserer Wache war interessant.
Ethan starrte ihn einen Augenblick lang an und meinte dann: »Popkultur hin oder her, dein Plan setzt bei Merit beachtliche schauspielerische Fähigkeiten voraus.« Er warf mir einen abschätzenden (und nicht gerade schmeichelhaften) Blick zu. »Ich glaube nicht, dass sie diese besitzt.«
»Hey!« Kichernd und ohne darüber nachzudenken, wer er war oder welche Macht er über mich hatte, boxte ich Ethan leicht auf den Arm. Glücklicherweise sprang er nicht von seinem Sitzplatz auf, um auf mich einzuschlagen, aber er starrte auf den Punkt auf seiner ordentlich gebügelten Anzugjacke, wo meine Faust ihn getroffen hatte.
»Hör mal, ich weiß, dass das wirklich nicht meine Spezialität ist, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich jederzeit überheblich rüberkommen kann.« Ich hatte vermutlich den weltweit besten Lehrer. »Obwohl ich eigentlich eine noch bessere Idee habe.«
Ethan hob die Augenbrauen. »Du hast unsere ungeteilte Aufmerksamkeit, Hüterin.«
»Robert«, sagte ich. »Er ist unsere Tarnung.«
Vor einigen Wochen hatte mich mein Vater angesprochen, und das am Abend meines achtundzwanzigsten Geburtstags, um mich zu bitten, meinem Bruder Robert zu helfen, der kurz davor stand, die Geschäftsführung bei Merit Properties zu übernehmen. Ob er es trotz unserer wachsenden Entfremdung oder genau deswegen getan hatte, weiß ich nicht, aber ich sollte Robert dabei unterstützen, beim übernatürlichen Teil der Bevölkerung Fuß zu fassen. Ich hatte seiner Bitte aus mehreren Gründen nicht entsprochen. Einer davon war sicherlich, dass Ethan mich für meinen Verrat bestraft hätte, aber der zweite war fast genauso entscheidend: die
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