Chiffren im Schnee
Tarnowska eifrig greifen musste, noch die Juwelen, mit denen Madame Gérard ihre durchaus ansehnlichen Töchter behängte. Anna kam der Gedanke, dass die Flucht ins Schlafzimmer unnötig gewesen war. In seinem gegenwärtigen Zustand hätte der Patron sie wahrscheinlich komplett übersehen.
Der Lieutenant schien sich der Wirkung seiner Cousine bewusst. Er beobachtete mit leicht hochgezogener Augenbraue und sichtlich amüsiert, wie Herr Bircher sein Rad schlug.
Gerade versicherte Herr Bircher der Dame, dass das Splendid wirklich alles täte, damit ihr Cousin sich hier wohlfühlen und in seinem Genesungsprozess vorankommen würde.
«Und natürlich hoffen wir sehr, dass Sie Ihren Aufenthalt in unserem Haus auch geniessen.»
Wahrscheinlich zerbrach sich Herr Ganz just in diesem Moment den Kopf über die standesgemässe Unterbringung der Dame in einem vollen Haus.
Die Lady meinte indes entschlossen: «Ich werde zufrieden sein, wenn meinetwegen niemandem Unannehmlichkeiten entstehen.»
Anscheinend war ihr bekannt, dass manche Hotels Reservationen schamlos über den Haufen warfen, wenn noble Gäste unangemeldet auftauchten.
Herr Bircher verbeugte sich ein weiteres Mal. «Wie Mylady wünschen. Ich werde mich höchstpersönlich darum kümmern, dass Mylady angemessen untergebracht werden.»
Anna seufzte unmerklich auf. In solchen Angelegenheiten konnte man den Patron beim Wort nehmen. Er würde also nicht nach seiner Gouvernante Ausschau halten und das ganze Personal nach ihrem Verbleiben befragen.
«Ich danke Ihnen sehr.» Lady Georgiana schenkte Herrn Bircher ein bezauberndes Lächeln. «Ich bin sicher, ich werde alles zu meiner vollsten Zufriedenheit vorfinden, wenn Sie selbst darüber wachen. Hoffentlich geht mit meinem Gepäck alles in Ordnung – es sind ja so viele Koffer.»
Der Patron verstand die charmant verpackte Aufforderung, sie mit ihrem Cousin allein zu lassen. Er versicherte ihr, sich sofort darum zu kümmern, verbeugte sich nochmals und verschwand nach weiteren Versicherungen, dass das Splendid durch ihren Besuch geehrt sei.
Als die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, wandte sich der Lieutenant seinem Gast zu. «Georgiana, was für eine wunderbare Überraschung!»
Es gelang ihm, die Worte so auszusprechen, dass sie nach dem Gegenteil klangen. Seine Cousine bemerkte das auch.
«Oh Christian, ich hätte etwas mehr Begeisterung erwartet. Immerhin habe ich mich in diese Wildnis begeben, damit du nicht alleine Weihnachten feiern musst.»
«Das ist sehr freundlich von dir, meine Liebe. Aber verzeih, wenn ich vermute, dass du nicht nur deswegen hier bist.»
«Ich weiss nicht, wovon du sprichst.» Lady Georgiana zuckte mit den Schultern und schritt zur Balkontür. «Was für eine herrliche Aussicht. Kein Wunder behaupten die Schweizer, man würde hier von allen möglichen Leiden geheilt. Also, sag, wie geht es dir?»
Überrascht stellte Anna fest, dass der Lieutenant anscheinend nicht im Sinn hatte, sie aus ihrer Lage zu befreien. Vielleicht wollte er vor seiner Cousine nichts so Skandalöses wie eine Frau im Schlafzimmer enthüllen? Es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als in der Position des unfreiwilligen Lauschers zu verbleiben.
«Es geht mir gut», meinte er knapp. «Nimm bitte Platz. Und dann lass uns ehrlich sein, ich bin für Spielereien zu müde. Ich zweifle nicht an deiner Zuneigung, Georgiana, aber ich weiss auch, dass du um diese Jahreszeit die Riviera vorziehst. Also, auf wessen Befehl bist du hier? Normalerweise arbeitest du doch nicht für die Abteilung, die sich mit dem Kontinent abmüht. Dein Auftauchen hier scheint ein wundersames Zeichen von Kooperation zu sein.» Er klang immer noch verärgert.
Lady Georgiana zeigte sich davon nicht besonders beeindruckt. Anna hörte sie seufzen, gefolgt von Schritten auf dem Parkett. Lady Georgiana liess sich elegant auf dem Sofa nieder und streifte ihre Handschuhe ab.
«Ich kann sehen, dass es dir nicht gut geht. Sonst hast du bessere Manieren. Ich bringe dir Grüsse und Genesungswünsche mit, viele Leute sorgen sich um dich.»
«Georgiana, wenn du nicht zur Sache kommen willst, dann werde ich das für dich tun. Die Leute, die sich angeblich so um mich sorgen, dürfte es bestimmt interessieren, dass vergangene Nacht hier eingebrochen wurde.»
«Bist du in Ordnung? Ist dir etwas geschehen?» Ihr leicht verspielter Tonfall war echter Sorge gewichen.
«Keine Angst. Niemand hat ernstlich Schaden genommen, ausser der Tapete.»
Er
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