Chili und Schokolade
bin. Wahrscheinlich ist sie doch ein Callgirl und hat sich alles andere nur ausgedacht. Vermutlich existiert auch die Oma im Seniorenstift nicht. Ich habe die Frau ja nie kennengelernt. Ulla, dieses Miststück mit ihrer wildwuchernden Phantasie denkt sich so eine tränenreiche Story doch schneller aus, als man das Wort Oma überhaupt aussprechen kann. Ich habe es oft genug selbst erlebt. Ein Stichwort genügt, und schon spinnt sie ein neues Lügennetz. Doch diesmal waren entschieden zu viele Löcher drin. Das Netz ist gerissen!
Am nächsten Morgen brummt mein Kopf, als hätte ich versucht, das Drama in Hochprozentigem zu ertränken. Aber ich glaube nicht, dass unser Vorrat an Alkoholika dazu ausgereicht hätte.
Um wieder auf die Beine zu kommen, koche ich mir erst mal eine Kanne starken schwarzen Tee und kuschle mich in meine Sofadecke. Langsam wird mir das Ausmaß der Katastrophe deutlich. Die Situation ist genauso skurril wie unmöglich: Ich habe mit der Geliebten meines Mannes ein erotisches Kochbuch geschrieben!
Vielleicht kann ich eines Tages darüber lachen. Im Moment kommt mir sofort die Galle hoch, wenn ich nur daran denke. Noch schlimmer ist aber die Vorstellung, dass der vermeintlich Kranke nicht ewig in der Klinik bleiben wird, sondern irgendwann hier auftaucht und …
Nichts und! Er wird feststellen, dass sein Schlüssel nicht mehr passt, weil ich nämlich jetzt den Schlüsseldienst anrufen werde und sämtliche Schlösser austauschen lasse!
Gerade als ich zum Telefon greife, ertönt der Türsummer. Auf dem Monitor sehe ich Bertram.
Oh, Merde! Den habe ich ja total vergessen! Ungeachtet meines katastrophalen Aussehens, der verheulten Augen und der dunklen Ringe unter den Augen muss ich wohl öffnen.
«Äh … Hallo, Bertram», begrüße ich ihn müde. «Komm doch rein.»
«Danke», sagt er höflich und tritt ein. «Du kannst dir sicher denken, dass ich dir keinen Höflichkeitsbesuch abstatte, oder?»
Schuldbewusst fällt mir ein, dass ich ja versprochen hatte, den unterschriebenen Vertrag vorbeizubringen.
«Tut mir leid, dass ich dich versetzt habe», murmle ich zerknirscht. «Aber es gibt da etwas, worüber wir sprechen müssen. Also, die Umstände … Nun, um es vorsichtig auszudrücken: Mein Leben hat sich in den letzten vierundzwanzig Stunden gravierend verändert.»
«Ich weiß», entgegnet er knapp und fügt nach einer längeren Pause an: «Ulla hat mich heute Morgen angerufen und mir die ganze Geschichte gebeichtet. Deshalb bin ich hier. Um zu retten, was noch zu retten ist.»
Ich weise den Weg in die Küche, stelle zwei Tassen vor uns hin und verkünde mit leicht zittriger Stimme: «Du wirst sicher verstehen, dass ich aus dem Projekt aussteige.»
Bestürzt sieht er mir tief in die Augen und fragt verständnislos: «
Du
willst aussteigen?»
«Bitte, Bertram, ich verstehe ja, dass du sauer bist, weil ich dich belogen habe. Zu meiner Verteidigung kann ich nur vorbringen, dass diese Callgirl-Story nicht auf meinem Mist gewachsen ist, sondern …» Ich vollende den Satz nicht. Sobald ich ihren Namen aussprechen würde, könnte ich aggressiv oder sogar ausfallend werden. «Tut mir leid, aber ich ertrage es nicht, diese Frau wiederzusehen. Sie hat vorgegeben, meine Freundin zu sein. Dabei will sie nur meinen Platz einnehmen.»
«Das ist kompletter Blödsinn», fährt Bertram mich unwirsch an. Er nimmt mich am Arm, zwingt mich, auf einem der Hocker Platz zu nehmen und sagt bestimmend: «Jetzt wirst du mir mal gut zuhören, Eve. Oder soll ich dich ab jetzt Evelyn nennen?»
Verwirrt blicke ich Bertram an. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
«Du bist also davon überzeugt, dass meine Nichte dich ausgenutzt hat?», fragt er provozierend.
Schweigend erhebe ich mich, um Milch und Zucker zu holen.
Als ich an den Küchentresen zurückkehre, fährt er kopfschüttelnd fort. «Bitte, denk doch mal nach, Evelyn! Woher sollte Ulla denn wissen, dass Henry Konrad ist. Dass es ein und derselbe Mann ist?»
«Tja, sein zweiter Vorname ist Heinrich», unterbreche ich ihn trotzig und gieße Tee ein. «Kann ich ahnen, dass er sich plötzlich neudeutsch Henry nennt?»
«Vielleicht nicht. Aber Ulla ist genauso getäuscht worden wie du. Sie ist außer sich! Henry hat ihr gegenüber behauptet, erst vor kurzem aus dem Ruhrgebiet nach München gezogen zu sein. Er hat sich als wesentlich jünger ausgegeben. Und zudem als kinderloser Witwer, wenn ich sie richtig verstanden habe. Warum hätte sie ihm
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