Chill Bill (German Edition)
Transvestiten, die man nur erkennen konnte, weil sie noch echter aussahen als die Frauen. Es war unerträglich laut. Der Karneval wirkte wie ein monumentales Theaterstück mit der Aussage, dass nichts so war, wie es aussah.
Vincent hatte sich seit einer Stunde im Mab’s auf dem Klo eingeschlossen. Er kotzte sich aus, während Corelli mit Edgard über ein neues Zimmer verhandelte. Edgard konnte das nicht verstehen.
»Wir wollen ein Apartment mit Farbfernseher«, forderte Corelli.
Edgard lachte. »Was wollt ihr mit einem Farbfernseher? Kein Mensch braucht im Karneval einen Fernseher. Sie gehen zum Strand. Wunderbarer Strand –
maravilhoso
. Habt ihr einen Strand in Deutschland?«
»Wo ich wohne, gibt es keinen Strand.«
»Na also! Aber Fernseher gibt es da. Also warum einen Fernseher? Geht doch zum Strand!«
Corelli antwortete nicht.
»Kein Mensch kommt nach Rio, um fernzusehen!«
»Wir brauchen einen Farbfernseher und wir wollen in ein ruhigeres Haus. Man kann nachts nicht schlafen vor Lärm.«
Edgard dachte einen Moment lang nach. Dann brach er auf. »Ihr seid verrückt!«
»Das mache ich nie wieder«, stammelte Vincent, als er von der Toilette zurückkam, »ich habe die ganze Nacht gekotzt.«
»Das ging mir genauso. Ich konnte es kaum glauben, dass du die Ruhe hattest, den Fernseher anzumachen und die Vorhänge zuzuziehen. Und die Idee mit dem Dach wäre mir auch nicht gekommen.«
Vincents Gesicht verzerrte sich. »Ricki, wir haben einen Mann erschossen! Wenn ich nur wüsste, was der von uns wollte!«
»Als ich herkam, habe ich in einem Reisebericht gelesen, man soll seine Türen immer von innen verschließen, weil sie einen sonst ausrauben. Die Türen kriegst du mit einer Scheckkarte auf. Sie halten dir die Knarre unter die Nase und nehmen alles mit, was du hast.«
»Also war es nur ein Einbrecher?«
»Carla hat mich noch kurz vorher gewarnt. Ich glaube, es war ein bewaffneter Räuber.«
»Ricki, verdammt!«
»Was ist?«
»Du bist so gleichgültig. Wir haben einen Mann erschossen.«
»Dazu«, erklärte Corelli und riss die Augen auf, »bist du doch hergekommen!«
Vincents Körpergröße reichte heute gerade dazu, sein Kinn im Sitzen so eben über die Tischkante zu bringen. Im allgemeinen Getöse waren seine Worte kaum zu hören. »Ich bin kein Killer, Ricki. Ich bin kein Killer!«
Corelli fingerte nervös an seinem Bierglas herum. »Was willst du mir damit sagen, Vince?«
Der Kellner stellte vier Chopp auf den Tisch. Vincent trank eines davon in einem Zug aus. Es war das zweite Bier, das er in Rio trank, aber das erste seines Lebens, das er in dieser Geschwindigkeit leerte. Dann nahm er einen Schluck vom zweiten.
»Weißt du, was mich an dieser Stadt fertig macht? Ich meine, richtig fertig? Was mich kaputt macht?«
Corelli gönnte ihm einen müden Blick, griff zum Bier und schwieg.
»Es ist dieser irrsinnige Lärm überall.«
PERTO DENKT NACH
Leme und Copacabana sind durch den
Túnel Novo
mit Botafogo und dem Rest der Stadt verbunden. Den Tunnel hat dieselbe kanadische Firma durch die
Morros
gesprengt, die auch die Seilbahn zum Zuckerhut errichtet hat, und zwar für die Straßenbahn. Das war vor über hundert Jahren. Heute gibt es hier keine Schienen mehr, sondern nur noch Autos. Die zwei Halbröhren sind etwas mehr als hundert Meter lang und sie haben eine bessere Akustik als mancher Konzertsaal. Von der Stadt aus wirkt die nächtliche Fahrt nach Copacabana wie Roger Rabbits Reise nach Toontown. Pertos VW füllte die Röhre mit einem satten Donnern, das sich an den Tunnelwänden zu vervielfachen schien, um dann durch die heruntergekurbelten Scheiben ins Wageninnere zurückzukehren.
»Dieser Wagen ist ein verdammter Trecker«, beklagte sich Walter Katz, »so etwas würde man bei uns aus dem Verkehr ziehen.«
»Er fährt«, sagte Perto. Er hatte die letzte Rate erst vor einem halben Jahr gezahlt und er liebte das Stück. »Man hört, was er tut. Das ist mir viel lieber als irgendeine Importtechnik, bei der man keine Ahnung hat, was unter der Motorhaube vor sich geht. Plötzlich bleibt die Kiste stehen und der Techniker sagt, es liegt an einem Halbleiterteil für dreißig
Centavos
, das man nirgendwo sonst kriegt, und er muss zweihundert
Reais
für die Arbeit berechnen, weil sie nämlich ein Diagnosezentrum brauchen um festzustellen, was an dem Auto nicht funktioniert. Maschinen, die ihre Arbeit laut machen, sind wenigstens ehrlich. Bei Menschen ist das genauso.«
»Quatsch!«, sagte
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