Chill mal, Frau Freitag
doch auch nicht, ja, ja, Spaß, für ihn sieht das aber gar nicht nach Spaß aus, bitte, sag nicht so was, du kennst seine Mutter doch gar nicht …«
Manchmal komme ich mir vor wie eine kaputte Schallplatte – ständig muss ich Vorbild sein und diesen pädagogisch wertvollen Sermon von mir geben. Für jede erdenkliche Situation gibt es das richtige Lehrerblabla. Und meistens sind es Verbote mit erklärendem Zusatz, den niemand hören will. Es interessiert sowieso keinen Schüler, was ich da ständig sage. Andernfalls würden sie ja nicht immer wieder die gleiche Scheiße machen. Sie wissen, dass ich nicht möchte, dass sie sich Nackenklatscher geben, und sie machen es trotzdem.
Träumen wir nicht alle davon, einmal anders als normal zu reagieren? Einfach mal spontan raus mit dem, was wir wirklich gerade denken. Dem pädagogisch wertlosesten Impuls folgen, gemeinen Eingebungen nachgeben – wäre das nicht toll?
Die Lehrerpersönlichkeit wäre plötzlich eine ganz andere: »Schade, dass du nur zu spät kommst, schöner wäre, wenn du gleich ganz zu Hause bleiben würdest. Nein, ich glaube nicht, dass du dich in Englisch noch verbessern kannst, du bist doch viel zu bescheuert, um in der nächsten Arbeit noch eine Vier zu schreiben. Ist das Solarium oder Make-up – na, egal, sieht jedenfalls total scheiße und billig aus. Warum läufst du so bekloppt, denkst du, irgendein Mädchen steht auf dich, nur weil du hier in Zeitlupe über den Hof stolzierst, als hättest du dir eingepullert? Warum schlägst du ihn nur in den Nacken? Hau doch mal richtig auf seine Nase, das tut ihm doch viel mehr weh und vielleicht blutet er dann sogar. Kleiner Tipp, der hat nicht nur eine Mutter, der hat auch noch drei Schwestern, die sind bestimmt auch alle Schlampen.«
Mein Traum vom perfekten Hausbesuch sieht folgendermaßen aus: Ich latsche erst mal bei strömendem Regen durch den Park, schön über die Wiese und durch den Matsch, dann rein in die gute Stube, die Schuhe lasse ich natürlich an. Zur Begrüßung rotze ich ordentlich auf den Wohnzimmerteppich, setze mich dann auf die Couch, ziehe den anderen Sessel näher ran, um meine Füße abzulegen. Dann esse ich Kürbiskerne und versuche die Hülsen über den Tisch auf den Flachbildschirm zu spucken. »Herr und Frau Üvioglu, ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass mir Ihr Sohn Üxi gehörig auf die Ketten geht. Ich kann ihn nicht leiden, und ich bin mir sicher, Sie auch nicht. Zum Glück haben Sie ja noch weitere Kinder, weil, aus dem wird bestimmt nichts. Und ich habe auch keinen Bock mehr, den jeden Tag zu sehen. Bitte lassen Sie ihn ab jetzt zu Hause.«
So lustig könnte der Lehreralltag sein. Wäre bestimmt auch sehr abwechslungsreich. »Spuck da ruhig noch mal hin. Was raus muss, muss raus. Ich freue mich über den Müll, den ihr hier im Klassenraum auf den Boden schmeißt. Habt ihr nicht noch mehr davon in den Taschen?«
Und ich bin sicher, die Schüler würden dann zum ersten Mal auf mich hören und machen, was ich sage: »Klar, geht doch ruhig alle aufs Klo.« Und wenn ich sie so weit habe, dann streue ich wieder die pädagogischen Mantras ein: »Vergesst die Hausaufgaben nicht, lernt für den Vokabeltest, vertragt euch …«
2.
Den Sommerferien entgegen
Frau Freitag, Sie haben mein Leben gefickt (Mitte Juni, noch fünf Wochen)
Wann sind eigentlich Sommerferien? Jetzt blicke ich gar nicht mehr durch. Sollte nicht bald die Zeit der Filme und des Aufden-Hof-Gehens beginnen? Die Tage, an denen eigentlich kein geregelter Unterricht mehr stattfindet, nur noch Eis essen, Schränke ausmisten, Hitzefrei, Tische schrubben und Kunstarbeiten aufhängen mit drei immer noch artig kommenden Zehntklässlerinnen. Ach, aber vorher kommt ja noch die schöne Zeit des Zensurenmachens und der Zeugniskonferenzen. Die Zeit, in der wir wieder zu hören bekommen: »Bitte, ich brauch nur noch den einen Punkt. Sonst fehlt mir nichts mehr. Nur der eine Punkt bei Ihnen.« – »Wie, jetzt ist es zu spät für ein Referat? Kann ich nicht noch einen Vortrag oder ein Plakat oder so … Aber ich brauche doch unbedingt eine Vier!«
Die Kollegen jedoch sind auch nicht besser: »Ach, Frau Freitag, kannste der Rebecca nicht noch zwei Punkte mehr geben, die ist doch immer da gewesen und die braucht doch den Abschluss.« – »Kann ich dir die Noten nächsten Montag geben? Ich muss heute noch eine Arbeit schreiben.« – »Wie, die Zensuren werden zusammengerechnet? Das erste und das zweite Halbjahr? Echt?
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