Chimären
gezeichnete Hündin bewachte dann das Telefon, wenn es zugeschaltet für Susans Aufträge bereitstand. Was natürlich auffiel, keiner der Hunde, außer dieser Bediener Ron, sprach mit ihr, so auch die Aufpasserin nicht. Aber sie hörte sehr aufmerksam die Gespräche ab. Und als Susan einmal versuchte, vom Auftragstext abzuweichen, unterbrach sie mit warnendem Knurren das Gespräch. Öfter auch sprach Lux selber, und sie durfte lediglich den Apparat bedienen.
Aber, was ihr natürlich von vornherein klar war: Man wusste bereits zum Ausgang der ersten Nacht, nach ihren unbeaufsichtigten Telefonaten, wo sich die Ausbrecher befanden. Ron, darauf von Susan angesprochen, antwortete zunächst nicht. Dann bemerkte er vielsagend, und sie hörte Verlegenheit heraus: „Manchmal reicht’s eben nicht.“
Susan war sich völlig bewusst, was da nicht reichte…
U we Lehmanns schwere Limousine rollte bis vor das Kassenhäuschen.
Die hohen Bäume des nahen Waldes warfen bereits lange Schatten. Es regte sich kein Lüftchen, nicht die geringste Bewegung gab es, und kein Laut unterbrach die Stille. Weit oben an der gewaltigen Mauer der Festung zog die tiefstehende Sonne einen scharfen Trennstrich. Die Zinnen erstrahlten in einem merkwürdigen ockerfarbenen Licht.
Lehmann stieg zaudernd aus, gab dem Chauffeur gedämpft die Anweisung zu warten, und sah sich um.
In einem Laubhaufen kratzte emsig eine Amsel. Sonst war keine weitere Spur von einem Lebewesen zu entdecken.
Zögernd ging Lehmann auf das Kassenhäuschen zu, an dem sich ein Orientierungsplan der Festung befand. Unkonzentriert sah er darauf. Er empfand es plötzlich als ein Manko, dieses berühmte und traditionsreiche Bauwerk so nahe der Stadt nie aufgesucht zu haben.
Er stellte fest, dass er sich unmittelbar am aufwärtsführenden Zugang zur Feste befand, dass der angegebene Zeitpunkt stimmte, und er ging die paar Schritte bis zur Einmündung der schmalen Straße.
Plötzlich hörte er ein Rascheln neben sich.
Ein großer schwarzer Hund erhob sich, blickte zum Besucher empor und schritt gravitätisch bergauf, sich umschauend, auf dem groben Pflaster voraus.
Obwohl Lehmann unheimlich zu Mute war, folgte er zügig.
Ab und an verhielt der Lotse, um den Abstand zwischen ihm und dem Schweratmenden zu verringern.
Sie kamen am massiven Tor und der zweiten Kasse vorbei zur dunklen, steil nach oben führende Appareille, dem Tunnel der historischen Abwehrmaschinen, und mit gemischten Gefühlen passierte Lehmann das hochgezogene und, wie der Zustand verriet, funktionstüchtige Fallgatter. Ganz entfernt kam dem Mann der Gedanke an die Schinderei, die der Transport aller Waren und zahlreichen Kriegsgeräts über diesen einzigen Zugang verursacht haben mochte.
Sie erreichten den im hellen Sonnenschein liegenden Vorplatz des Zeughauses. Der Führer, dessen etwas unproportionierter Kopf, nun deutlich im Licht, seine Zugehörigkeit zu den Canismuten verriet, blieb vor der Freitreppe stehen, versperrte den weiteren Weg. Wohl oder übel verharrte Lehmann. Er fasste sich ein Herz und fragte freundlich: „Sprichst du?“
Aber nur ein leises Knurren bekam er als Antwort.
Eine Uhr auf einem nahen Gebäude schlug sechs Mal. In Lehmanns Nähe tat sich nichts. Stoisch saß der Hund.
Erneut stieg Frust im Direktor eines der bedeutendsten modernen Forschungsinstituten an, als ein Gongschlag das Verstreichen einer weiteren Viertelstunde anzeigte. Er dachte an das Telefonat mit der Lindsey, in dem sie das Für und Wider dieses Zusammentreffens abgewogen hatten, er sich eigentlich bis zuletzt gewehrt hatte, mit einem Kretin zu verhandeln. Wenn überhaupt, dann sollte die kompetente Mitarbeiterin es wahrnehmen, die den meisten Kontakt mit diesen Kreaturen hatte. Außerdem bliebe ihm dann die Letztentscheidung vorbehalten, falls sie den Erpressern zu sehr entgegenkäme. Aber schließlich musste er sich bereit erklären, der ultimativen Forderung nachzukommen: Shirley Lindsey konnte den derart kurzfristigen Termin aus verkehrstechnischen Gründen nicht wahrnehmen – sie befand sich noch in der Niederlassung in Brasov – und nach einem nochmaligen Telefongespräch wurden von den Besetzern der Festung weder eine Terminverschiebung noch ein anderer Verhandlungspartner akzeptiert. Und wichtig war es ihm allemal, den leidigen Zustand zu beenden, noch bevor die Öffentlichkeit aufmerksam wurde, was ohnehin jeden Augenblick geschehen
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