Chocolat
dunklen Ölgemälde steht, ist er kaum zu sehen, der Marmor, aus dem die Figur gemeißelt wurde, ist vom Rauch Tausender Kerzen verfärbt. Der heilige Franziskus dagegen nach wie vor so weiß wie frische Champignons, trotz der Feuchtigkeit, die den guten Franz unter der unbekümmerten Mißachtung seines Kollegen langsam und vergnügt zerbröckeln läßt. Ich nehme mir vor, ihn so bald wie möglich an einen ihm angemesseneren Platz versetzen zu lassen.
Muscat ist nicht in der Kirche. Ich suche alles ab, immer noch in der Annahme, daß er womöglich auf mich wartet,aber er ist nicht zu finden. Vielleicht ist er krank, überlege ich. Nur eine ernste Krankheit würde einen so eifrigen Kirchgänger wie ihn davon abhalten, am Palmsonntag die Messe zu besuchen. In der Sakristei lege ich mein Meßgewand ab und schlüpfe in meine Soutane. Den Kelch und die Patene schließe ich sicherheitshalber ein. Zu Ihrer Zeit wäre das nicht nötig gewesen, Vater, aber heutzutage muß man sich vorsehen. Landstreicher und Zigeuner – von einigen Elementen in unserem Dorf ganz zu schweigen – würden sich durch die Aussicht auf ewige Verdammnis nicht davon abhalten lassen, mit solchen Wertgegenständen ein schnelles Geschäft zu machen.
Mit zügigen Schritten gehe ich nach Les Marauds hinunter. Muscat ist seit letzter Woche ziemlich wortkarg, und ich bin ihm nur ein paarmal flüchtig begegnet. Aber er wirkt teigig und krank, gebeugt wie ein verdrossener Büßer, die Augen halb verborgen unter den geschwollenen Lidern. In letzter Zeit besuchen nur noch wenige Leute sein Café; vielleicht aus Furcht vor Muscats Jähzorn und seinem verhärmten Gesichtsausdruck. Am Freitag war ich selbst dort; das Café war so gut wie leer. Seit Joséphine ausgezogen ist, ist der Boden nicht mehr gefegt worden und mit Zigarettenkippen und Bonbonpapieren übersät. Überall auf den Tischen und der Theke standen leere Gläser. In der Vitrine lagen ein paar alte Sandwiches und etwas Rotes, Zusammengerolltes, das aussah wie eine vertrocknete Pizza. Daneben ein Stapel von Carolines Flugblättern, mit einem schmutzigen Bierglas beschwert. Neben dem schalen Gestank nach kalter Zigarettenasche roch es nach Schimmel und nach Erbrochenem.
Muscat war betrunken.
»Ach, Sie sind’s.« Sein Ton war mürrisch, beinahe aggressiv. »Sie sind wohl gekommen, um mir zu sagen, ich soll auch noch die andere Wange hinhalten, was?« Er nahm einen tiefen Zug an der Zigarette, die halb aufgeweicht zwischen seinen Zähnen klemmte. »Sie könnenzufrieden mit mir sein. Ich halte mich seit Tagen von der Schlampe fern.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Sie dürfen nicht verbittert sein«, sagte ich.
»In meinem eigenen Café kann ich sein, was ich will«, erwiderte Muscat feindselig. »Das ist doch mein Café, nicht wahr, Vater? Ich meine, Sie wollen ihr doch wohl nicht auch noch den Laden auf einem silbernen Tablett servieren, oder?«
Ich erklärte ihm, ich könne seine Gefühle verstehen. Er zog noch einmal an seiner Zigarette und hustete mir höhnisch lachend seinen fauligen Atem ins Gesicht.
»Das ist gut, Vater.« Er stank wie ein Tier. »Das ist phantastisch. Natürlich verstehen Sie mich. Gar keine Frage. Als Sie Ihr Gelübde abgelegt haben, oder was auch immer, hat die Kirche Ihnen die Eier abgeschnitten. Da kann ich mir vorstellen, daß Sie nicht wollen, daß ich meine behalte.«
»Sie sind betrunken, Muscat«, fauchte ich.
»Scharf beobachtet, Vater«, höhnte er. »Ihnen entgeht doch wirklich nichts, was?« Er machte eine weit ausholende Geste mit der Hand, in der er die Zigarette hielt. »Sie braucht sich nur anzusehen, wie der Laden jetzt aussieht«, sagte er heiser. »Mehr braucht sie nicht, um glücklich zu sein. Zu sehen, daß sie mich ruiniert hat« – er war den Tränen nahe, überwältigt von dem typischen Selbstmitleid des Säufers –, »zu wissen, daß sie unsere Ehe zum Gespött des Dorfes gemacht hat –« Er stieß einen obszönen Laut aus, halb Schluchzen, halb Rülpsen. »Zu wissen, daß sie mir das verdammte Herz gebrochen hat.«
Er wischte sich mit dem Handrücken über die triefende Nase.
»Glauben Sie ja nicht, ich wüßte nicht, was sich da drüben abspielt«, sagte er leise. »Diese Schlampe und ihre lesbischen Freundinnen. Ich weiß genau, was die treiben.« Er wurde wieder lauter, und ich schaute mich verlegen nach seinen drei oder vier verbliebenen Gästen um, die ihnneugierig anstarrten. Warnend legte ich eine Hand auf seinen
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