Chocolat
Qualitäten der weniger gleichmäßig geformten Roussette-Tomate im Vergleich zu den nach nichts schmeckenden europäischen Standardtomaten. Roux zündet die Holzkohlengrills zu beiden Seiten des Tisches an und besprenkelt sie mit Zitronellöl, um die Insekten fernzuhalten. Ich bemerke, daß Caro Armande mit mißbilligendem Blick beobachtet. Ich esse nur wenig. Die Küchendüfte, die mich den ganzen Tag umgeben haben, sind mir in den Kopf gestiegen, ich fühle mich aufgekratzt und ungewöhnlich empfindlich, so daß ich, als Joséphines Hand mich während des Essens streift, zusammenfahre und beinahe aufschreie. Der Chablis ist kühl und trocken, und ich trinke mehr, als ich sollte. Farben werden greller, Geräusche schriller. Ich höre Armande das Essen loben. Ich trage den Kräutersalat auf, um den Gaumen wieder freizumachen, dann foie gras auf warmem Toast. Mir fällt auf, daß Guillaume seinen Hund mitgebracht hat und ihn heimlich unter dem Tisch mit kleinen Leckerbissen füttert. Wir kommen von der Politik zum Problem mit den baskischen Separatisten, von der ETA über die neueste Damenmode zur Frage,wie man Rauke am besten anpflanzt, und zu den Vorzügen von wildem Salat. Dazu fließt reichlich Chablis. Dann kommt der vol-aux-vents auf den Tisch, so leicht wie eine Sommerbrise, dann Holunderblütensorbet gefolgt von einer großen Platte fruits de mer – gegrillte Langusten, blaue Krabben, Garnelen, Austern, berniques , Spinnenkrebse und die größeren Taschenkrebse, die einem mit derselben Leichtigkeit, mit der ich einen Stiel Rosmarin pflücke, einen Finger abschneiden können, Strandschnecken, palourdes und obenauf ein riesiger schwarzer Hummer, königlich auf seinem Bett aus Seetang. Die riesige Platte glänzt farbenprächtig in Rot- und Rosatönen, hellen und dunklen Schattierungen von Meeresgrün, dazwischen Perlmuttfarben und Violett, Köstlichkeiten wie aus der Schatzkammer einer Meerjungfrau, die romantisch nach Salzwasser duften wie Erinnerungen an Kindertage am Meer. Wir verteilen Zangen für die Krebsscheren, kleine Gabeln für die Muscheln, Schüsselchen mit Zitronenscheiben und Mayonnaise. Unmöglich, sich angesichts solcher Delikatessen zurückzuhalten; solche Dinge erfordern Aufmerksamkeit, Ungezwungenheit. Gläser und Besteck glitzern im Licht der Lampions, die an dem Gitterwerk über unseren Köpfen hängen. Die Nacht duftet nach Blumen und Flußwasser. Armandes Finger sind so geschickt wie die einer Spitzenklöpplerin; der Teller mit den leeren Schalen vor ihr füllt sich mühelos. Ich hole Nachschub an Chablis; Augen leuchten, Gesichter glänzen rosig beim Pulen der Schalentiere. Diese Leckerbissen muß man sich erarbeiten, das erfordert Zeit. Joséphine wird langsam entspannter, unterhält sich sogar mit Caro, während sie mit einer Krebsschere kämpft. Caros Hand rutscht aus, ein feiner Strahl Salzwasser schießt ihr ins Auge. Joséphine lacht. Einen Augenblick später lacht Caro mit. Auch ich unterhalte mich. Der Wein ist hell und trügerisch, seine berauschende Wirkung wegen seiner Weichheit kaum wahrnehmbar. Caro ist bereits leicht beschwipst, ihre Wangen sind gerötet, kleine Löckchen lösen sich aus ihrer strengenFrisur. Georges streichelt mein Knie unter dem Tisch und zwinkert mir lüstern zu. Blanche erzählt vom Leben der fahrenden Leute; es gibt nicht wenige Orte, die wir beide schon gesehen haben, sie und ich. Nizza, Wien, Turin. Zézettes Baby fängt an zu weinen; sie taucht einen Finger in den Chablis und läßt das Baby daran saugen. Armande diskutiert mit Luc, der um so weniger stottert, je mehr Wein er trinkt, über de Musset. Schließlich räume ich die leergegessene Platte und die Teller mit den perlmuttfarbenen Abfällen ab. Es gibt Schalen mit Zitronenwasser für die Finger und Minzesalat für den Gaumen. Ich sammle die Gläser ein und verteile die coupes à champagne . Caro wirkt wieder besorgt. Auf dem Weg in die Küche höre ich sie leise und eindringlich auf Armande einreden.
Armande wimmelt sie ab.
»Darüber können wir später reden. Heute abend will ich feiern .«
Sie begrüßt den Champagner mit einem zufriedenen Jauchzer.
Zum Dessert gibt es Schokoladenfondue. Der klare Tag ist wie geschaffen dafür – feuchtes Wetter macht die geschmolzene Schokolade stumpf –, mit siebzig Prozent Bitterschokolade, Butter, ein wenig Mandelöl, im allerletzten Augenblick ein Schuß Sahne dazu und sanft über einem Rechaud erhitzt. Dann werden kleine Stücke Kuchen oder
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