Chocolat
auf, aber trotzdem aus Seide – und eine silberne Blumenvase; von Luc etwas Rotes, Glänzendes in einem Umschlag aus Kreppapier, das er so gut er kann vor den Blicken seiner Mutter verbirgt, indem er es unter einen Stapel Geschenkpapier schiebt … Armande grinst und wirft mir einen verschmitzten Blick zu. Mit einem entschuldigenden Lächeln überreicht Joséphine ihr ein kleines goldenes Medaillon.
»Es ist nicht neu«, sagt sie.
Armande hängt es sich um den Hals, drückt Joséphine kurz ans Herz und schenkt großzügig Champagner aus. Ich höre die Gespräche von der Küche aus; soviel Essen zuzubereiten ist eine knifflige Angelegenheit und erfordert große Konzentration, aber ich bekomme trotzdem einiges mit von dem, was draußen vor sich geht. Caro gibt sich freundlich, aufgeschlossen; Joséphine ist still; Roux und Narcisse haben ihr gemeinsames Interesse an exotischen Obstbäumen entdeckt. Zézette singt ein Volkslied mit ihrer hohen Stimme, während sie das Baby lässig in einem Arm wiegt. Mir fällt auf, daß sogar das Baby zur Feier des Tages mit Henna bemalt ist, so daß es mit seiner marmorierten, goldenen Haut aussieht wie eine dicke, kleine Netzmelone.
Inzwischen haben alle am Tisch Platz genommen. Armande ist in Hochstimmung und bestreitet den größten Teil des Tischgesprächs. Ich höre Luc in seiner angenehmen, leisen Stimme etwas von einem Buch erzählen, das er gerade liest. Caros Stimme wird ein bißchen schärfer – ich vermute, daß Armande sich gerade ein weiteres Glas St. Raphaël eingeschenkt hat.
»Maman, du weißt doch, daß du das nicht –« höre ich sie sagen, aber Armande lacht einfach nur.
»Das ist mein Geburtstagsfest«, verkündet sie fröhlich. »Und ich will nicht, daß auf meinem Fest irgend jemand unglücklich ist, am allerwenigsten ich selbst.«
Damit ist das Thema vorerst erledigt. Ich höre Zézette mit Georges flirten. Roux und Narcisse fachsimpeln über Pflaumen.
» Belle du Languedoc «, erklärt Narcisse ernst. »Das ist meiner Meinung nach die beste. Süß und klein, mit Blüten wie Schmetterlingsflügel –« Aber Roux läßt sich nicht beirren.
»Mirabellen«, sagt er bestimmt. »Das sind die einzigen gelben Pflaumen, die anzubauen sich lohnt. Mirabellen.«
Ich wende mich wieder dem Ofen zu, und eine Zeitlang höre ich nichts mehr.
Kochen ist eine Leidenschaft von mir, und ich habe es mir selbst beigebracht. Niemand hat es mir gezeigt. Meine Mutter braute Wundermittel und Zaubertränke, und ich habe ihre Kunst zu einer süßeren Alchimie veredelt. Wir sind uns nie sehr ähnlich gewesen, meine Mutter und ich. Sie träumte vom Fliegen, von Sternenwanderungen und geheimen Essenzen; ich brütete über Rezepten und Speisekarten, die ich aus teuren Restaurants geklaut hatte, wo zu essen wir uns nie leisten konnten. Immer wieder spöttelte sie liebevoll über meine fleischlichen Gelüste.
»Zum Glück haben wir kein Geld«, sagte sie zu mir. »Sonst würdest du noch so fett werden wie ein Schwein.« Arme Mutter. Als der Krebs sie schon halb zerfressen hatte, konnte sie sich immer noch über jedes Pfund freuen, das sie abnahm. Und während sie ihre Karten deutete und vor sich hin murmelte, studierte ich meine Sammlung Rezeptkarten und sagte die Namen der exotischen Gerichte auf wie Mantras, wie eine geheime Formel, die ewiges Leben verspricht. Bœuf en Daube. Champignons farcis à la grèque. Escalopes à la Reine. Crème Caramel. Schokoladentorte. Tiramisu . In der geheimen Küche meiner Phantasie bereitete ich sie alle zu, probierte sie aus, kostete sie, erweitertemeine Rezeptsammlung an jedem Ort, in den wir kamen, klebte sie in mein Heft wie Fotos von alten Freunden. Sie verliehen unserer Wanderschaft Bedeutung; die glänzenden Bilder, die aus den zerfledderten Seiten meiner Kladde hervorlugten, waren wie Meilensteine auf unserem ziellosen Weg.
Jetzt trage ich die Gerichte auf wie lange vermißte Freunde. Soupe de tomates à la gasconne , mit frischem Basilikum serviert, dazu tartelettes méridonales mit einem hauchdünnen Boden aus pâte brisée , gewürzt mit Olivenöl und belegt mit Anchovis und saftigen, einheimischen Tomaten, die zuvor zusammen mit Oliven langsam weich gedünstet wurden und dadurch einen fast unvorstellbar köstlichen Geschmack ergeben. Ich fülle lange, schlanke Gläser mit 85 er Chablis. Mit betont gezierter Geste trinkt Anouk aus ihrem Glas Limonade. Narcisse interessiert sich für die Zutaten der tartelettes und preist die
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