Cholerabrunnen
Fürstenzug verschwinden.
„Hey, ist da war faul?“
Ein Kollege will die Münze einmal sehen.
„Was soll da faul sein? Ist halt eine Münze und da drauf ist was Buntes. Hole ich jetzt sicher nicht raus. Och nee… nun kommt auch noch das Fernsehen. Ich könnte… ausrasten… ganz ehrlich!“
Ein ausländisches Rundfunkteam mit Kamera und Mikrofon, gleich drei Mann stark, wobei einer nur mit dem Mikro herumzulaufen scheint und alle möglichen noch auf dem Platz verbliebene Menschen interviewt, steht nun vor ihnen.
„Kurz Zeit?“
Schnittge nickt und Mauersberger winkt ab. Die Presseleute lachen.
„Ja, also… ich sage dann mal was.“
Es stellt sich heraus, dass es sich um ein Team des Israelischen Fernsehens handelt, der größten staatlichen Station in Tel Aviv.
„Was verschlägt Sie denn nach Deutschland?“
Der Mann mit dem Mikro, der um sich schaut und die Kamera auf sich und Schnittge ausrichten lässt, während Mauersberger versucht, mit den Arbeitern zu flüstern, aber nicht wirklich Erfolg hat, weil alles so laut ist um sie herum, räuspert sich.
„Auch aus Israel viele Spenden. Stadt kaputt, vorher viele Juden hier und nun Synagoge… aber auch diese Kirche. Nicht alle aus unserem Volk früher nur Juden. Auch einige Christen.“
Amid Levi steht auf seiner Terrasse. Die Übertragung nahm ihn mit. Gerade die Schlusssequenz machte ihm zu schaffen. Er kommt aus Dresden und er sah an jenem Morgen des 14. Februars auch noch diese Kirche stehen. Sie brannte später vollständig aus und stürzte darum in sich zusammen. Nun steht sie wieder. Sie sieht aus, wie früher… nur eben nicht mehr ganz so schwarz, sondern mit vielen Flecken. Eine gelungene Symbiose aus alt und neu.
Er schluckt.
Gleich neben der Kirche stand damals das Haus seines Vaters. In der Reihe mit vielen anderen, direkt am Neumarkt. Sie verkauften Stoffe und im Sommer noch in der Familienwerkstatt gefertigte Hüte. Mit Machtantritt der Nazis durfte das Geschäft nicht offenbleiben, aber man enteignete sie eigentlich nicht. Nicht wirklich und offiziell. Und woran lag das?
Er hört noch seinen Vater, wie er in der Nacht weinte. Seine Tochter habe er verkauft. Seine geliebte Tochter für das Leben aller. Er verstand es damals nicht und später wollte der Vater nicht reden. Doch ihnen ging es noch gut. Lange zumindest. Bis 1945. Dann kamen bald die Russen und… die hatten eine ganz eigene Einstellung zu Juden, die noch in Deutschland waren. Vater überlebte das nicht, kam damals in ein ehemaliges Lager der Organisation Todt in der Nähe des Sellnitzgrundes inmitten der Sächsischen Schweiz und starb da auch unter den Russen, wurde irgendwo verscharrt. Jahre später erst erfuhr die Familie vom Tod des Vaters und sie nahmen dann diesen Bericht zum Anlass, um Deutschland zu verlassen. Nein, sie galten nicht als Kollaborateure. Aber Vater fühlte sich als solcher.
Sein Sohn kommt eben in den Raum, schaut auf den immer noch flimmernden Fernseher. Dann sucht er den Vater, findet ihn beim Blick über die Golanhöhen, den er immer genoss.
„Was ist los?“
Amid dreht sich ganz langsam herum.
„Sie haben ihn. Einen haben sie.“
Was… einen? Der Sohn versteht gar nichts. Dann geht er dem Vater nach, der die Weiheübertragung bis zur letzten Minute aufzeichnete und nun nur ein paar Sekunden zurückspulen muss.
„Hier… schau hin!“
Er erkennt gar nichts. Was soll da sein? Viele Menschen, ja, natürlich. Viele sind dort, obwohl die Zeremonie wohl schon vorbei ist. Dann schwenkt die Kamera auf einen Bautrupp, der ein Zelt abträgt und einen Lkw belädt.
„Ja, und? Was ist das? Was denkst Du, was Du da siehst?“
Der Alte schüttelt nur den Kopf.
„Ich habe ihn erkannt!“
In der Zentrale des Mossad hat man mit diesen alten Geschichten viel Erfahrung. Natürlich gehen bei einigen Menschen schnell einmal die Gefühle durch und dann kann man ihnen nicht mehr folgen, aber dieser Herr Levi scheint noch ganz beisammen und redet kein irres und wirres Zeug.
„Sie sagen also, Ihr Vater und Ihre Mutter stimmten damals zu, als dieser Herr… ähm… Mutschmann sich an Ihrer Schwester verging?“
Das klingt noch viel furchtbarer, als deren damalige Erklärung. Sie wäre eben eine gute Freundin und sie würden gemeinsam ausgehen. Dass dies immer nur geschah, wenn Mutschmanns Frau unterwegs war, Verwandte besuchte oder einer der Aufgaben nachging, die sie aufgrund der Position ihres Mannes anzunehmen in der Lage war, schien
Weitere Kostenlose Bücher