Cholerabrunnen
nicht zu bewegen, einmal die andere Seite für möglich zu halten.
Die kleine Kneipe am Schillerplatz existiert schon eine halbe Ewigkeit. Früher gab es dort ein normales Speisenangebot, nun wurde daraus eine Art Schnellrestaurant. Man kann für ein paar Mark etwas essen… und der Preis bewegt sich weit unter der Fünf im einstelligen Bereich. Erschwinglich selbst für die, die nichts haben.
Weinert wartet. Er gönnte sich ein Bier… nein, falsch, schon das Dritte. Der Wirt, ein robuster, kleiner Kerl, der ihm jedoch in Leibesfülle noch nicht das Wasser reichen kann, schaut immer wieder skeptisch zu ihm herüber. Er mag es offensichtlich gar nicht, wenn sich bei ihm jemand nach und nach besäuft. Hat der eine Ahnung, denkt der Dicke und kippt das Bier herunter. Er verträgt soviel, dass der sich wirklich keine Sorgen zu machen braucht. Das Einzige, was passieren kann, ist, dass er schnell aufspringt und dann niemand auf dem Wege zur Toilette herumstehen sollte…
Herbert Engelhardt von der Gesellschaft Dreizehnter Februar kommt eben herein, rümpft wohl wegen des ständig nach altem Essen und Rauch stinkenden Raumes die Nase, sucht und sieht Weinert endlich, kommt auf ihn zu. Der bekommt eben sein viertes Bier. Anklagend fast lässt der Wirt die leeren Gläser vor ihm stehen. Um die Mittagszeit trinken bei ihm nicht viele diese kühlen Blonden… daher braucht er die Gläser auch nicht am Schanktresen.
„Mann, Sie kommen spät, Engelhardt!“
Der lässt sich so plump sicher nicht aus der Reserve locken, setzt sich Weinert gegenüber und bestellt eine Soljanka und ein Wasser.
„Klar, vertragen kein Bier, oder?“
Engelhardt lächelt.
„Alles zu seiner Zeit. Nun, was haben Sie Neues, dass dies nicht bis zum nächsten Treffen am Freitag warten konnte?“
Vorsichtig, weil er möglichen Zeugen keine Chance auf einen erfolgreichen Blick gönnen will, holt er den Bogen aus der Tasche.
„Hier… Sie müssen genauer hinsehen. Ich habe da auch Notizen, die das schon einmal beschreiben. Lesen Sie es in Ruhe durch… sollte interessant sein, glaube ich. Und es stützt nicht gerade Ihre These, Herr Engelhardt.“
Klar denkt der. Was hätte es denn von Weinert auch anderes sein sollen? Wieder ein fadenscheiniger Beweis mehr. Angeblich durchgedrückte Notizen.
„Das ist doch kein Beweis, Herr Weinert. Das ist… Geschreibsel. Und Sie wissen genau, es gab dann einen Aufruf, nach dem man die Schäden zusammenstellen sollte… wegen späterer… na ja, eben wegen der späteren Entschädigung. Erinnern Sie sich? Der ist unstrittig, hoffe ich.“
Weinert winkt ab.
„Klar. Und da stellte sich ein Büroangestellter der Stadt hin und schrieb gleich einen Tag nach dem Vernichtungsschlag die falschen Zahlen auf. Also bitte, was glauben Sie, wer ich bin und worum es geht! Das da sind mit Sicherheit Notizen, die entstanden, noch ehe von irgendwelchen Entschädigungen gesprochen wurde…“
Er versucht zu pokern. Ob es ihm nun gerade bei Engelhardt gelingt? Kaum anzunehmen. Er versucht es trotzdem.
Der schaut noch einmal genauer, holt dann eine Lupe hervor, die er vielleicht darum stets bei sich führt, weil er in letzter Zeit häufig bei Bürgern der Stadt unterwegs ist, die ihre Archive öffnen, sich bereit erklären, ihn einen Blick in alle möglichen alten Dinge und vor allem Aufzeichnungen werfen zu lassen. Woher hat Weinert das? Ist nicht aussagekräftig, denn es handelt sich nur um eine Kopie.
„Hmm… na ja, wenn ich das Original hätte…“
Nun grinst der Bauunternehmer.
„Ja, das gibt es auch. In der Deutschen Fotothek. Wie es nun gerade dahin kam, kann ich Ihnen auch nicht sagen. Aber es existiert und schon darum sollten Sie meine Redereien nicht alle gleich abtun!“
Nun zieht Engelhardt die Augenbrauen hoch.
„Ja, ja, Weinert. Natürlich… vielleicht konnten Sie auch noch dieses angebliche Original dort platzieren? Es gab schließlich noch bis vor einigen Wochen fast jede Möglichkeit. Die Fotothek wurde umgebaut und manche Bestände… waren nicht unbedingt sicher gelagert. Leider. Also, das ist auch kein Beweis!“
Weinert schluckt. Daran dachte er gar nicht. Wobei… das wäre noch eine ganz andere Möglichkeit, um Aufsehen zu erregen. Er könnte der Fotothek vorwerfen, nicht ordentlich mit dem Bestand umzugehen, und schon müssen die beweisen, dass sie es doch tun und taten. Das wiederum kann Engelhardts Aussage… über die Klippe schicken.
„Gut, Engelhardt, wir werden sehen, was die
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