Cholerabrunnen
Zukunft bringt. Seien Sie aber gefasst, dass die anders aussieht, als es Ihre bisherigen Träume aussagen. Verstanden?“
Er kippt das letzte Bier herunter, nickt und wirft ein paar Markt auf den Tisch. Dann geht er. Der Wirt am Tresen atmet sichtbar auf. Der am Tisch Verbliebene, der noch gedankenverloren in der inzwischen kalten Soljanka herumstochert, lächelt amüsiert, zahlt wenig später auch und ist guter Dinge.
„Ja, es tut mir wirklich sehr Leid, Herr Weinert, aber da kann ich Ihnen beim besten Willen keine bessere Auskunft geben. Wenn es Lücken gibt, wir eben nicht jedes Stück unserer Sammlung heute schon als katalogisiert einordnen dürfen, bedeutet das eben, wir können auch nicht genau sagen, wann uns was erreichte und wem es zuzuordnen ist.“
Der Dicke sitzt auf einem gepolsterten Stuhl. Eigentlich wollte er sich noch einen Rundgang durch die mineralogische Sammlung im selben Ständehaus gönnen, wenn die Sache endlich erledigt ist und er mit Sicherheit weiß, dass er Engelhardt in die Ecke jagen kann. Nun jedoch sieht alles anders aus.
„Was sind das denn für Zustände, wenn ich einmal fragen darf? Bedeutet das, wenn mein Großvater Ihnen eine Sammlung mit alten Originalfotos und vielleicht noch mehr Dokumenten übergab, können Sie mir jetzt, zwanzig oder noch mehr Jahre später nicht einmal genau sagen, welcher Sammlungsteil das ist, noch, wann der Kram zu Ihnen kam und so weiter? Warum soll dann noch jemand spenden?“
Er kennt die Antwort selbst. Einige wissen nichts von dieser gängigen Praxis, normale neue Sammlerstücke erst einmal weit wegzuräumen, die, die bedeutender erscheinen, eben anders zu behandeln… und außerdem sterben so viele Menschen, deren Kinder nicht wissen, wohin mit dem alten Kram, sicher ahnen, dass es für den Müll einfach zu schade ist… und alles abgeben. Die werden hier gar nicht aus den Augen gucken können, wenn wieder einmal ein Sammler stirbt, lacht er noch in sich hinein, versucht jedoch, zumindest nach außen hin einen sehr erbosten Anblick zu bieten.
„Ja, tut mir echt leid. Aber mehr kann ich nicht dazu sagen. Vor ein paar Jahren sah es noch ein bisschen besser aus. Na ja, Geld fehlte immer, aber wir hatten wenigstens noch ein paar mehr Mann Personal. Nun jedoch… knappe Kassen, für alte Sachen, Kunst und Kultur geben scheinbar nur noch die Niederländer Geld aus… hahaha! Sicher kennen Sie diese Händler… ähm, tut mir leid, ich wollte Ihnen auf keinen Fall zu nahe treten. Aber das ist eben die Zeit. Und gerade was den Angriff und die Zeit darum herum betrifft… so viele Notizen, weil sich einige eben mitteilen wollten. Na ja, oder auch nur aufschrieben, was sie nicht vergessen durften und nie daran dachten, dass es sie lange überlebt… z. B. hier in der Fotothek. Und dann… na ja, und dann waren da auch noch die, die sich unbedingt profilieren wollten. Da kann man zum Schluss wirklich nicht mehr auseinanderhalten, ob jemand Tatsachen oder Propaganda aufschrieb. Dass zwischen Beidem ein himmelweiter Unterschied besteht, wissen Sie ja… ist in der Baubranche auch so.“
Was nimmt sich der Kerl nur heraus?
„Fünfzehn Keller sind jetzt offen und ich kann nicht umhin… die haben damals bei Weitem keine gute Arbeit geleistet, Behringer. Ich habe hier eine Leiche… na ja, die noch nicht ganz… ich sage es ungern… die noch nicht ganz vermoderten Gebeine einer Frau gefunden, die nicht erstickte, die wohl auch nicht verbrannte… dann sähe sie anders aus. Die wurde glatt… ermordet. Und das Messer steckte ihr auch noch im Rücken. Wie man das damals übersehen konnte… na ja, ich glaube nicht, dass die wirklich so schlampig waren, aber vielleicht hatte man Eile, wollte vollendete Tatsachen schaffen und so den Platz schnell mit Vergessenheit zudecken. Klingt blöd, ist für mich aber die einzig plausible Erklärung.“
Behringer schaut seinen Kollegen Zech an. Der kann vor Aktenbergen auf seinem Schreibtisch kaum mehr geradeaus schauen, wird jedoch vorerst keine Verstärkung der andren Teams anfordern, wie er meinte. Er müsse eben nur prüfen, ob die Toten da unten in der Nähe des Neumarktes wirklich so alt sind, wie angenommen.
„Seien wir doch ehrlich, Behringer… das war… na ja, spätestens 1949. Also fünfundvierzig Jahre ist es jetzt her. Natürlich könnten wir vielleicht noch einen Täter ermitteln. Die Technik und unsere Labors sind nicht die Schlechtesten. Außerdem haben wir noch Ressourcen an anderen
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