Choral des Todes
wieder nach Frankreich zurückkehren.«
»Man hat uns von der Operation Condor erzählt.«
»Unsere Ratschläge galten für alle Operationen, dazu gehörte auch Condor , das stimmt. Der Vorteil des Stromes ist der geringere Materialaufwand. So konnten die damaligen Diktaturen überall Verhörzentren einrichten. Sogar auf fremdem Territorium.«
»Waren Sie die einzigen Ausbilder?«
»Nein. Wir waren eine Art … Gruppe. Folterer, die von überallher kamen. Man unterrichtete. Und man betrieb auch, sagen wir mal, Forschungen. Diese Repression bot eine einzigartige Gelegenheit. Frischer, quasi nie versiegender Nachschub. Die politischen Gefangenen, die das Regime massenweise verhaftete.«
»Gab es unter den anderen Ausbildern Altnazis?«
Condeau-Marie antwortete, ohne zu zögern:
»Nein. Die Nazis waren im Ruhestand, versteckten sich in den Weiten der Pampa oder zu Füßen der Kordilleren. Oder sie hatten in Santiago oder Valparaiso irgendwelche Verwaltungsposten.« Er schien einen Augenblick zu überlegen und fuhr dann fort: »Wenn ich mich recht entsinne, so gab es doch einen Deutschen. Ein wirklich grauenerregender Mensch. Aber er war zu jung, um ein Nazi gewesen zu sein. Ich glaube, dass er in den sechziger Jahren nach Chile gekommen war.«
»Wie hieß er?«
»Ich erinnere mich nicht mehr.«
»Wilhelm Götz?«
»Nein. Eher ein Name mit einem ›mann‹ am Ende … Hartmann. Ja, ich glaube, er hieß Hartmann.«
Kasdan notierte den Namen in seinem Notizblock, ohne sich um die Rechtschreibung zu kümmern.
»Erzählen Sie mir von ihm.«
»Er übertraf uns alle. Und zwar bei weitem.«
»Inwiefern?«
»Er kannte alle Foltermethoden … sozusagen von innen heraus.«
»Was soll das heißen?«
»Er probierte sie an sich selbst aus. Hartmann war ein religiöser Mensch. Ein Mystiker, der sich für den Weg der Buße entschieden hatte. Ein Fanatiker, dessen Lebensinhalt die Strafe war. Er verstümmelte sich selbst. Er folterte sich selbst. Ein echter Spinner.«
»Bevorzugte er bestimmte Methoden?«
»Eine seiner Zwangsvorstellungen bestand darin, keine Spuren, Male und Narben zu hinterlassen. Dieses Bedürfnis hatte etwas mit seinem religiösen Glauben zu tun – mit dem Respekt vor dem Körper und seiner Reinheit. Ich kann mich nicht mehr gut erinnern. Auf jeden Fall bevorzugte er die Stromfolter und weitere, noch absonderlichere Methoden.«
»Zum Beispiel welche?«
»Die Chirurgie. Die nicht-invasiven Methoden, die damals noch in den Kinderschuhen steckten. Eingriffe, die die Integrität des Körpers nicht verletzen und durch natürliche Körperöffnungen vorgenommen werden: durch den Mund, die Nasenlöcher, die Ohren, den After, die Vagina … Hartmann sprach von entsetzlichen Dingen: von glühend heißen Sonden, von Kabeln mit gebogenen Haken, die im Inneren der Bauchwand emporschnellten, vom Einleiten von Säure in die Speiseröhre.«
Kasdan zuckte zusammen. Diese Eigenart deutete auf einen direkten Zusammenhang mit der Vorgehensweise bei den jetzigen Morden hin – das Durchstechen des Trommelfells. France Audusson, die HNO -Spezialistin, hatte von einem geheimnisvollen Instrument gesprochen, mit dem das Trommelfell von Götz durchbohrt worden sei und das nicht die geringste Spur hinterlassen habe.
»Wie war sein äußeres Erscheinungsbild?«
Condeau-Marie runzelte die Stirn. Das Licht, das durch das Fenster drang, umspielte seinen glänzenden Schädel, der wie eine Kerze zu zerschmelzen schien.
»Ich verstehe nicht. Sind diese alten Geschichten für Ihre Ermittlungen denn von Belang?«
»Wir sind überzeugt, dass der Schlüssel zur Aufklärung der Morde in Chiles Vergangenheit steckt. Also, antworten Sie bitte. Wie sah Hartmann aus?«
»Er wirkte noch wie ein junger Mann, obwohl er schon fünfzig sein musste. Eine sehr dichte schwarze Mähne und eine kleine Brille, die ihn wie einen Soziologiestudenten aussehen ließ. Wirklich ein außergewöhnlicher Typ. Sie wissen, dass ich in meinem Leben viel herumgekommen bin. Vor allem in Südamerika. Es ist eine Region, wo man ständig auf alles gefasst sein muss, weil immer plötzlich etwas passieren kann. Hartmann war ein Produkt dieses abgeschiedenen, noch unzivilisierten Landes.«
»An mehr erinnern Sie sich also nicht? An ein Detail, das uns ermöglichen würde, ihn zu identifizieren?«
Der General stand auf, um sich die Beine zu vertreten. Um seine Erinnerungen wachzurufen. Er stellte sich wieder vor das Fenster. Schweigen.
»Hartmann war
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