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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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die sie mit ihren Ideen anstecken konnten. Damit sich das rote Krebsgeschwür nicht weiter ausbreiten konnte. Niemals!«
    »Was genau war Ihre Rolle bei diesen Seminaren?«, fragte Kasdan.
    »Ich brachte Ihnen Disziplin, Kontrolle und Effizienz bei. Ich zügelte ihre barbarischen Instinkte. Die Folter darf keine Schlächterei sein. Und vor allem kein Blutrausch!« Wieder lachte er höhnisch. »Blut ruft nach Blut. Alle wissen das. Ich meine: die echten Männer. Diejenigen, die an der Front waren.«
    »Erzählen Sie uns von Ihren Kollegen, den anderen Ausbildern.«
    »Auch sie musste man im Zaum halten! Zauberlehrlinge. Ein Nordamerikaner schwor auf Napalm. Mit einer Schere zerschnipselte er Bruchstücke verbrannter Haut und verfütterte sie an Gefangene. Ein Paraguayer hatte seinen Hund darauf abgerichtet, dass er die weiblichen Gefangenen vergewaltigte und …«
    »Erzählen Sie von Hartmann.«
    La Bruyère bewegte die Kiefer, ohne den Mund zu öffnen, als würde er etwas Ekelhaftes kauen, das jedoch zugleich einen gewissen Wohlgeschmack besaß. Dann betrachtete er nacheinander seine beiden Besucher. Unter den grauen Brauen funkelten seine Augen grausam und gerissen.
    »Wenn er kam, waren wir keine Lehrer mehr, sondern Schüler. In gewisser Weise machte er uns sogar zu Versuchskaninchen.«
    »Versuchskaninchen?«
    »Als wären wir auch bloß Gefangene. Für Hartmann waren andere Militärs auch nur Material für seine Experimente.«
    »Was für Experimente?«
    »Eine Initiation. Eine Reise ins Reich der Schmerzen.«
    Kasdan schwieg. Der General würde von selbst weitersprechen.
    »Zuerst mussten wir selbst die Methoden an den Gefangenen ausprobieren. Er nannte das ›praktische Arbeiten‹.«
    »Haben Sie selbst gefoltert?«
    »Ja. Hartmann steckte uns in eine Zelle. Allein mit dem Häftling. Wir mussten ihn ›bearbeiten‹, nach dieser oder jener Methode. Da geschah etwas Merkwürdiges. Eine Art Übertragung. Das Leiden erfüllte den Raum, prallte von den Wänden zurück und drang in unseren Körper ein. Es berauschte uns, wie eine Droge. Wir wurden süchtig nach den Schreien, dem Blut, den Tränen … Mehrmals musste man einem der Folterer Einhalt gebieten. Er stand im Begriff, den Gefangenen umzubringen.«
    Kasdan ging auf, dass sie ebenfalls eine Reise machten, und zwar ins Innere des menschlichen Wahnsinns. Sie waren in ein Labyrinth der Schmerzen und der Grausamkeit eingedrungen, dessen Minotaurus Hartmann hieß. Von Anfang an tappten sie durch diesen Irrgarten, ohne den Ariadne-Faden zu besitzen.
    »Schließlich«, fuhr La Bruyère fort, »kam die zweite Stufe. Hartmann war der Ansicht, dass es sich ein Foltermeister schuldig ist, die Misshandlungen am eigenen Leib zu erleben. Diese Idee war nicht neu. Schon General Massu hatte in Algerien die Elektroschockfolter an sich selbst erprobt.«
    »Haben Sie an diesen Experimenten teilgenommen?«
    »Ohne zu zögern. Wir waren Soldaten. Keiner wollte kneifen.«
    »Haben Sie sich selbst Elektroschocks verabreicht?«
    »Anfangs nur schwache. Hartmann wusste, was er tat. Er wollte, dass wir selbst in den Höllenkreis der Martern eintreten. Das Berauschende der Schmerzen erleben.«
    »Und, haben Sie es erlebt?«
    »Nicht alle. Die meisten Offiziere sind zu ›orthodoxeren‹ Methoden zurückgekehrt. Aber einige sind auf den Geschmack gekommen.«
    »Wie Sie?«
    »Wie ich. Die Fee Endorphin hat mich verrückt gemacht.«
    Volokine ergriff das Wort. Er ließ La Bruyère nicht aus den Augen, sprach aber zu Kasdan:
    »Wenn der Körper Schmerzen empfindet, schüttet er ein spezielles Hormon aus: das Endorphin. Eine natürliche Substanz, die den Körper unempfindlich für Schmerzen macht. Dieser physiologische Reflex beschränkt die unangenehme Empfindung. Aber dieses Hormon löst eine Art Euphorie aus. Das schwankt natürlich. Sonst wäre jede Foltersitzung ein Vergnügen.«
    Der General deutete mit einem gekrümmten Finger auf Volokine:
    »Hartmann wusste, was er tat! Indem er uns diesen allmählich stärker werdenden Schmerzen aussetzte, löste er den Mechanismus aus. Die regelmäßige Freisetzung von Endorphin machte uns abhängig. Wir hatten Schmerzen, aber jenseits der Schmerzen wurde ein anderes Gefühl hervorgerufen. Ein intensives Lustgefühl …«
    »Man befindet sich im Subspace «, erläuterte der Russe.
    Die Vogelscheuche nickte mit ihrem schmächtigen Kopf, der noch immer auf dem Kissen lag:
    »Ganz genau.«
    Kasdan kam da nicht mehr mit. Schmerzen, die Lust

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