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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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stützte sich erneut mit den Ellbogen auf der Fensterkante auf:
    »Man muss hier die Steine nur lange genug betrachten, um zu erkennen, dass selbst die härtesten Felsen irgendwann Risse bekommen.«
    »Erwarten Sie, dass Asunción Risse bekommt?«
    Lächeln und Schweigen waren die Antwort. Die lachenden klaren Augen und die ruhige Stimme passten nicht zu der MP -5.
    Der Mann murmelte:
    »Alles hat ein Ende, Monsieur de Paris . Selbst bei einer Festung wie Asunción kann die Wachsamkeit nachlassen. An dem Tag sind wir bereit.«
    Kasdan hätte den weißhaarigen Mann gern ausgefragt, doch damit hätte er sich verraten. Der Mann streckte die Hand durchs Fenster.
    »Pierre Rochas. Ich bin der Bürgermeister von Arro.«
    Kasdan drückte die runzelige Hand, ohne sich vorzustellen.
    »Kann ich jetzt fahren?«
    »Kein Problem. Sie folgen diesem Weg noch fünf Kilometer weiter. Dann sehen Sie zu Ihrer Rechten eine weitere Straße. Sie können sich gar nicht vertun, sie ist nämlich asphaltiert. Nach weiteren drei Kilometern sind Sie in Asunción.«
    Rochas trat zurück und machte mit der Hand eine kreisförmige Bewegung. Seine Kameraden traten zur Seite. Sie waren zwischen achtzehn und vierzig Jahre alt. Durchtrainierte, entschlossene Wachposten, die ihre halbautomatischen Waffen mit beiden Händen festhielten. Als Kasdan an ihnen vorbeifuhr, dachte er bei sich, dass diese Einheimischen eine Gefahr darstellten, die er nicht vorhergesehen hatte. Falls Rochas und sein Trupp jemals den Entschluss fassen sollten, die Kolonie anzugreifen, würde das in einem Blutbad enden.
    Bilder von brennenden Gebäuden und Gemetzeln gingen ihm durch den Kopf. Auch Jahreszahlen. 1994: Das FBI greift das Anwesen einer Sekte im texanischen Waco an. Bilanz: 86 Tote. 1993: Als sie sich bedroht fühlen, zwingen die Führer des Sonnentempler-Ordens ihre Mitglieder zum »Selbstmord«. 64 Tote. 1978: Pfarrer Jim Jones, der sich und sein Werk ebenfalls bedroht fühlt, führt die 914 Mitglieder seiner Peoples-Temple-Sekte in Guayana in den kollektiven Selbstmord. Angriffe auf Sekten endeten regelmäßig in einem Blutbad.
    In seinem Rückspiegel sah er, wie Rochas und seine Männer zum Abschied ihre Sturmgewehre in die Höhe hoben.

KAPITEL 60
    Volokine wachte mit dem Gefühl auf, als liege sein Kopf unter einem riesigen Briefbeschwerer. Er fühlte sich wie ein in zähflüssigem Baumharz gefangener Schmetterling oder Käfer. Als hätte er Puder im Mund, Blei in den Zähnen. Seine Gedanken waren wie klebrige Reiskörner.
    Er wollte auf seine Uhr sehen. Aber er trug sie nicht mehr. Dort, wo sie gewesen war, drang jetzt ein Katheter in seinen Arm ein. Darüber lief ein durchsichtiger Beutel langsam leer. Er musste ein mit Glukoselösung vermischtes Medikament enthalten.
    Sein Blick wanderte zum Fenster. Der Tag neigte sich. Also hatte er mehr als acht Stunden geschlafen. Mist. Im Halbdunkel dämmerte ihm, wo er sich befand: in einem Krankenhauszimmer mit vier Betten. Kein anderes war belegt. Alles wirkte gelblich und spielte stellenweise ins Beige.
    »Sind Sie wach?«
    Volokine antwortete nicht: Seine geöffneten Augen sprachen für sich.
    »Wie fühlen Sie sich?«
    »Benommen.«
    Die Krankenschwester lachte. Ohne die Deckenlampe anzuschalten, näherte sie sich der Infusion und überprüfte, ob sie durchlief. Sie strahlte immer noch. Er hatte bereits begriffen. Das seltsame Funkeln ihrer Augen. Der besondere Nachdruck, mit dem sie sprach. Er stand hoch im Kurs. Selbst im Schlaf, selbst in seinem Zustand hatte er noch das gewisse Etwas, das der Krankenschwester nicht entgangen war.
    Er war das gewohnt. Die Mädchen fuhren auf ihn ab, ohne dass er irgendetwas dazu beitrug. Er nahm es gleichmütig, manchmal sogar betrübt hin. Er wusste, weshalb er die Tussis anmachte. Zum einen hatte er das hübsche Gesicht eines gefallenen Engels. Aber da war noch mehr. Die Frauen mit ihrem feinen Gespür bemerkten, dass er nicht offen war. Er war mit seinen Gedanken woanders . Sein Körper und seine Psyche gehörten ganz und gar dem Dope. Was aber erscheint begehrenswerter als das, was sich einem entzieht? Und dann ist jemand, der sich selbst zerstört, ob es einem gefällt oder nicht, immer romantisch.
    »Hatte ich Besuch?«, fragte er mit belegter Stimme.
    »Nein.«
    »Kann ich mein Handy wiederhaben?«
    »Im Innern des Krankenhauses ist es verboten, aber für Sie werde ich eine Ausnahme machen.«
    Sie öffnete den Schrank. In der nächsten Sekunde hielt er sein Handy in der

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