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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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des Chors. Die Sühne, die die Welt rettete. Die Agoge, die Ausbildung der Heranwachsenden zu Kriegern. Die Landschaft schien wie geschaffen für diese Ideen. Er hatte den Eindruck, mitten durch Muttergestein zu fahren, jene Generation von Mineralen, die den Fels- und den Kieselgesteinen unserer Erde voranging. Er reiste durch die Urzeit der Titanen, die Zeit der Ursprünge. Immer stärker erfüllte ihn das Gefühl, sich einem Geheimnis zu nähern.
    Der Weg war jetzt von Steinplatten bedeckt. Damit der Wagen nicht durchgerüttelt wurde, fuhr Kasdan langsamer, bis er vor dem schieferblauen Himmel eine Traube grauer Häuser erspähte. Kein Schild. Kein Hinweis auf Menschen, nicht einmal Stromleitungen.
    Der Armenier schaltete zurück und gelangte ins Dorf. Es bestand aus höchstens fünfzehn Hütten einschließlich Kapelle. Der Weg verengte sich und schlängelte sich zwischen den Häusern hindurch. Aus Naturstein erbaut und von Flechten bewachsen, schienen sie im Stil der Region restauriert worden zu sein. Der Stil des abblätternden Putzes. Kasdan verrenkte sich den Hals, um einen Einwohner zu Gesicht zu bekommen. Niemand. Der Wind brauste, und die Ziegel zitterten auf den Dächern. Wenn er nicht gewusst hätte, dass hier eine Gruppe von Hippies wohnte, hätte er geschworen, es mit einem Haufen Steinen zu tun zu haben, der sich selbst überlassen war.
    Er wollte gerade den Weiler verlassen, als zu beiden Seiten der Straße Männer auftauchten. Kasdan glaubte zu träumen. Sie waren mit dunklen Parkas bekleidet und hielten Gewehre in der Hand. Und nicht irgendwelche. Die neuesten Sturmgewehre. Ein großer Kerl mit weißem Haar und blauer Daunenjacke löste sich aus der Gruppe. Er näherte sich und forderte Kasdan durch eine Handbewegung auf, zu bremsen.
    Vor etlichen Jahren hatte Kasdan einen französischen Politiker als Leibwächter nach Israel begleitet. Beim Besuch israelischer Siedlungen waren sie bewaffneten Milizen begegnet. Es war dieselbe Atmosphäre. Misstrauen, Feindseligkeit, schnelle Entspannung.
    Er ließ die Scheibe herunter und setzte ein breites Lächeln auf.
    »Wohin wollen Sie?«, fragte der Mann.
    Beinahe hätte Kasdan geantwortet: »Was geht dich das an?«, aber er lächelte noch etwas stärker und fragte mit ruhiger Stimme:
    »Ist das ein Privatweg?«
    Der Mann lächelte schweigend. Er beugte sich herab und inspizierte in aller Ruhe das Wageninnere. Sein Verhalten passte nicht zu dem martialischen Auftritt. Er wirkte höflich und entspannt. Um die sechzig, ein ansprechendes, sonnengegerbtes Cowboy-Gesicht. Zwei helle Augen stachen aus der trocknen Haut hervor. Zwei Wasserstellen in der Wüste. Wie seine eigenen Augen.
    »Kommen Sie aus Paris?«
    »Sie haben mein Nummernschild gesehen.«
    »Was machen Sie hier?«
    »Ich will das Konzert in der Kolonie Asunción besuchen. Ihr Chor singt heute.«
    Der Mann stützte sich mit den Armen auf das Fensterbrett und ließ sich Zeit.
    »Ich weiß Bescheid«, sagte er mit tiefer, sanfter Stimme.
    »Halten Sie alle Autofahrer an?«
    »Nur diejenigen, die wir nicht kennen.«
    Er richtete sich wieder auf und senkte seine Waffe. Eine Maschinenpistole MP -5 von Heckler & Koch. Eine furchterregende Waffe, von Spezialeinheiten verwendet. Drei Einstellungen. Einzelschuss. Feuerstoß mit drei Schüssen. Freier Feuerstoß. Drehbarer Kolben. Zielfernrohr-Halterung. Wo hatten sich diese Hippies solche Waffen beschafft? Und die entsprechenden Waffenscheine?
    »Ein ganz schön weiter Weg, nur um Sängerknaben zu hören, oder?«
    »Das ist meine Passion. Knabenchöre. Der Knabenchor von Asunción ist berühmt.«
    »Offen gesagt, sehen Sie nicht gerade so aus wie ein begeisterter Musikliebhaber.«
    Am liebsten hättte Kasdan ihm seinen Ausweis unter die Nase gehalten. Aber er musste anonym bleiben. Und sein Gesprächspartner war nicht der Typ, der auf einen seit vier Jahren abgelaufenen Ausweis hereinfallen würde.
    »Dabei bin ich wirklich ein Experte.« Er lächelte wieder und fragte: »Besuchen Sie das Konzert nicht?«
    »Die Kolonie und wir, das ist eine lange Geschichte.«
    »Arbeiten Sie für die?«
    Der Mann lachte laut auf. Eine Welle unbeschwerter, bedächtiger Fröhlichkeit, in den Wind geschleudert. Die Männer hinter ihm stimmten in das Gelächter ein.
    »Nein, das würde ich nicht sagen.«
    »Gegen sie?«
    »Die Leute von der Kolonie machen innerhalb ihres Anwesens, was sie wollen. Aber außerhalb ist es etwas anderes. Außerhalb ist unser Terrain.«
    Der Kämpfer

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