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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Was machen Sie da?«
    Kasdan befreite sich aus seinem Griff und ließ sich auf ein Knie nieder. Er sammelte die aufgeprallten Patronenhülsen ein. Zog einen Gummihandschuh über. Fuhr mit den Fingern in das rauchende Gewebe. Er suchte nach den Patronen, die das Herz und das Rückenmark des Generals durchschlagen hatten.
    Volo trat zurück und wiederholte leiser:
    »Was machen Sie da?«
    Da verstand er, woher das merkwürdige Geräusch kam, das in dem Korditgeruch schwebte.
    Kasdan weinte bitterlich.

KAPITEL 66
    »Lionel Kasdan ist am 23. August 1962 gestorben. In einem Hinterhalt, in der Nähe von Bafang, im Westen Kameruns. Er war neunzehn Jahre alt.«
    »Wer sind Sie?«
    »Ich habe Afrika 1962 entdeckt. Ich war siebzehn. Erinnerst du dich noch daran, was du in diesem Alter getan hast? Ich wetzte meine Träume, wie man Messer schärft. Malraux. Kessel. Cendrars. Das Abenteuer, die Tat, der Kampf, aber auch die Wörter, die damit einhergehen. Ich wollte Schriftsteller werden. Zunächst ein aktives Leben und dann die Bücher, die sich daraus ergeben würden. Ich habe mich freiwillig gemeldet, wobei ich eher an Rimbaud als an de Gaulle dachte. Ich sagte mir, um gut schreiben zu können, muss man zuerst intensiv gelebt haben. Und um zu leben, muss man zuerst sterben. Im Kugelhagel. Unter der Sonne. Inmitten von Moskitoschwärmen.«
    Kasdan sprach mit tonloser Stimme. Starrem Blick. Dicht über das Armaturenbrett gebeugt. Volokine war auf einen Autobahnrastplatz gefahren und hatte den Motor abgestellt. Im Wagen war es eiskalt. Der Regen hatte wieder eingesetzt und trommelte leise gegen die Fenster. Der Russe hatte keine Ahnung, wo sie sich befanden.
    »Beantworten Sie meine Frage: Wer sind Sie?«
    Kasdan schien nicht hinzuhören:
    »Als ich in Yaoundé eintraf, fühlte ich mich nicht fremd. Es war Frankreich, nur heruntergekommener. Es gab die bekannten Marken: Peugeot, Monoprix, die Moulinex-Haushaltsgeräte … Es gab Postfilialen, die öffentlichen Schulen und ihre Lehrer. Aber alles war klapprig und schäbig. Es war Frankreich, aber umgestülpt wie ein Handschuh, der seine Innenseite der Sonne aussetzt. Eine tragische Farce, wo sich die Wahrheit über die Menschen unverstellt zeigte.
    Nachdem wir einige Wochen lang in Quartier gelegen hatten, wurden wir in die Garnison von Koutaba im Nordwesten verlegt, wo dicke Luft herrschte. Ich könnte dir stundenlang von der Schönheit der Landschaft und der Schönheit des Soldatenlebens erzählen. Das Grün unserer Drillichanzüge, das einen Kontrast zum Laterit bildete. Das 17. Marineinfanterie-Bataillon … Wir waren tapfere Männer. Helden, die mit dieser sonnenüberfluteten Erde verschmolzen …
    Ich erspare dir die Details zum politischen Hintergrund. Im Wesentlichen ging es darum, dass Kamerun seine Unabhängigkeit erlangt hatte. Vorbei die Zeit der Kolonie. Aber das Haus war noch nicht bestellt. Vor dem Abzug mussten wir mit den Rebellen aufräumen, den Typen von der UPC , um Präsident Ahidjo, dem ›Freund der Franzosen‹, ein gesäubertes Territorium zu hinterlassen. Damit er uns weiterhin zu Diensten sein würde.
    Das Problem war allerdings, dass wir offiziell gar nicht mehr das Recht hatten, dort zu sein. Du kannst in den Archiven recherchieren. Dort wirst du keine Aktennotiz, keinen Bericht über unsere Einsätze finden. Es gab keine schriftlichen Befehle mehr. Es war verboten, die französische Fahne aufzuziehen. Verboten, mit der Presse zu sprechen. Verboten, Ausdrücke wie ›Errichtung eines Kontrollnetzes‹, ›Sektor‹ und so weiter zu benutzen. Trotzdem musste die Arbeit erledigt werden. Wir hatten zwei Aufgaben: die Rebellen-Truppen vernichten und die Bevölkerung wieder auf den rechten Weg bringen. All diese Bauern, die mit den Widerstandskämpfern sympathisierten.
    Anfangs führten wir ungefährliche Einsätze durch. Die Bahnlinie überwachen. Lkw-Konvois mit Handelswaren Begleitschutz geben. Wir waren eine Kompanie. Höchstens zweihundert Mann. Dann sind wir entlang dem Baleng-See nach Süden vorgestoßen, bis wir in das ›höllische Dreieck‹ gelangten, das sich zwischen drei Städten erstreckte: Bafoussam, Dschang und Bafang. Zuerst sind wir mit gepanzerten Fahrzeugen den Pisten gefolgt. Dann mussten wir uns, zu Fuß und mit der Marschausrüstung auf dem Rücken, durch den richtigen Dschungel quälen. Es war Regenzeit. Wir kriegten sintflutartige Güsse ab. Der Boden löste sich unter unseren Schritten auf und verwandelte sich in Schlamm, durch

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