Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
Vom Netzwerk:
den wir uns mühsam vorankämpften.
    Wir starben fast vor Angst, und gleichzeitig fühlten wir uns mit unseren Waffen stark. Mit dem Dschungel war es genauso. Einerseits gab es nichts Schauerlicheres als diese feuchte, dunkle, von Tieren wimmelnde Umgebung voller Rebellen, die sich aufgrund von Zauberei für unbesiegbar hielten. Gleichzeitig war der Wald wunderbar. Wenn wir bei Einbruch der Dunkelheit das Lager aufschlugen, bekamen diese Schneisen im Busch, die Leuchtkäfer, die auftauchten, die Düfte, die der Erde entströmten, etwas Magisches …
    Wir haben sehr schnell begriffen, mit wem wir es zu tun hatten. Ich meine damit unsere Anführer. Die Rebellen bekam man nie zu Gesicht. Lefèvre, unseren Kommandeur, und Forgeras, seinen Stellvertreter, lernten wir dagegen gründlich kennen. Zwei Halunken, die frisch aus Algerien kamen und die wie besessen waren von der ›Sensibilisierungskampagne‹, die man in den Dörfern durchführen musste. Eine beschönigende Umschreibung für den Auftrag, die Bevölkerung zu terrorisieren, um ihr die Zusammenarbeit mit der UPC auszutreiben. Die Methode war einfach. Wir überfielen alle Dörfer, zerstörten und brannten Gebäude nieder. Wir begegneten dort nur unbewaffneten Zivilisten: Frauen, Kindern, Alten. Es war widerlich.
    Unsere beiden Offiziere hatten eine große Schwäche für die Folter. In irgendeinem Kaff – ich erinnere mich nicht mehr an seinen Namen – haben sie ein OSK , ein operatives Schutzkommando, eingerichtet. In Wirklichkeit war es ein Verhörzentrum. Sie benutzten dafür den Generator unseres Funkgeräts. Eine Art Elektroschockfolter, die jedoch mit Diesel funktionierte. Nie werde ich den Benzingeruch vergessen. Und die Schreie, die damit verbunden waren …
    Aber es kam noch schlimmer. Die Einberufenen fanden Geschmack an diesen Schweinereien. Der Mensch ist ein Stück Dreck. Und wenn er nicht verkommen ist, dann ist er feige. Diejenigen, die das Spiel nicht spielen wollten, machten trotzdem mit, aus Angst vor Repressalien. Wir wurden zu Tieren. Eine Art Rausch stieg uns zu Kopf. Und auch eine Art dumpfe Hellsichtigkeit, die uns krank machte. Aber damit nicht genug. Wir waren auch noch regelrecht sauer auf unsere Opfer. Auf all diese dämlichen Dorfbewohner, die mit dem Feind paktierten. Wir waren wütend auf Afrika, wütend auf den Regen, der nicht aufhörte …
    Ich habe sofort daran gedacht, zu desertieren. Das war nicht so schwierig. Einen Führer finden. Zivile Kleidung stehlen. In den Wald flüchten. Innerhalb weniger Tage konnte ich in Nigeria sein. Aber das war eine Flucht. Unmöglich. Ich musste die Maschine anhalten. Die anderen von den beiden Wahnsinnigen befreien. Ich musste die Schwarzen retten. Es gab nur eine Lösung: die beiden Drecksäcke, die unsere Anführer waren, umlegen. Tagelang habe ich Pläne geschmiedet. Ich sah nicht einmal mehr, was um mich herum geschah. Ich habe geschlagen, geplündert, zerstört … Aber ich ließ mich nicht unterkriegen. Dank meines Plans. Ich würde all dem Einhalt gebieten. Ich würde Afrika retten!
    Genau zu dieser Zeit gerieten wir in einen Hinterhalt. Wir waren vielleicht zehn Kilometer von Bafang entfernt. Mitten im Dschungel. Die ersten Schüsse fielen. Wegen des Regens haben wir nichts gehört. Blätter zerrissen, Rindensplitter schossen durch die Regenwand – und direkt vor mir fiel ein Mann. Lionel Kasdan, ein tiefgläubiger kleiner Armenier, der schon seit Wochen kein Wort mehr sprach. Ein Junge in meinem Alter, mit hervortretenden Augen, der eine Art Jüngstes Gericht zu erwarten schien. Das habe ich damals gedacht. Unter dem Beschuss habe ich mir gesagt: ›Es ist so weit. Gott hat entschieden. Wir werden alle draufgehen …‹
    Durch das Rauschen des Regens brüllten Lefèvre und Forgeras Befehle. Die Männer suchten Deckung, während ein Schauer von Tropfen und Kugeln, von Wasser und Eisen über uns hereinbrach. Ich war wie gelähmt. Ich rührte mich nicht. Über Kasdan gebeugt, sah ich dem Tod in die Augen und erwartete, dass er mich ebenfalls holen würde.
    Aber ich starb nicht. Die Kugeln schwirrten durch die Luft. Der Regen prasselte. Und ich blieb da, unbesiegbar. Da habe ich verstanden, dass ich zum Plan Gottes gehörte. Ja, er bestrafte uns, aber er gab mir auch die Gelegenheit, mich zum Werkzeug seiner Rache zu machen. Der Leichnam Kasdans in meinem Armen. Seine Papiere in seinem Drillichanzug. Die Möglichkeit einer Flucht und eines anderen Heils, unter einem anderen Namen. Ich habe

Weitere Kostenlose Bücher