Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
Vom Netzwerk:
Marseillaise . Volo bevorzugte Neil Young: »I’ve seen the needle and the damage done/ A little part of it in every one/ But every junkie’s like a settin’ sun.«
    Volo wollte Einzelheiten wissen, Daten, Tatsachen. Nachmittags suchte er das Archiv der Polizeipräfektur auf, wo die Personalakte jedes Polizisten aufbewahrt wird. Die Daten waren da, schwarz auf weiß. Und die Tatsachen widerlegten die Legende nicht.
    1944: Geburt in Lille, mit iranischem Pass. 1959: Heim und Stipendium in Arras. Erhält die französische Staatsbürgerschaft, dank der Hartnäckigkeit seiner Eltern, die als Gerber im 3. Arrondissement in Paris arbeiten. 1962: Wehrdienst, nach Kamerun abkommandiert, wo – was Volo nicht wusste – wie in Algerien eine »Operation zur Aufrechterhaltung der Ordnung« durchgeführt wurde. 1964: Rückkehr nach Frankreich. Keine Einträge bis 1966. Kasdan besteht die Zulassungsprüfung als Polizeibeamter, erhält die Personalnummer RY 456321. Tritt in die »Territoriale Brigade« im 18. Arrondissement ein.
    Den Mann, der den Krieg gewohnt ist, muss es total anöden, auf der Straße Streife zu gehen. Aber zu diesem Zeitpunkt holt ihn der Krieg auf der Straße ein. Mai 1968. Während der Ereignisse zieht Kasdan die Uniform aus und taucht in die Masse ein, um an der großen Schlacht teilzunehmen. An dieser Stelle der Lektüre hatte Volo, der an einem kleinen Schreibtisch im hinteren Teil des Archivs der Polizeipräfektur saß, mehrere Telefonate geführt, um die in der Akte enthaltenen Informationen abzurunden. Er kannte etliche Ehemalige, die in der Lage waren, diese dürren Fakten mit ausführlichen Anekdoten zu garnieren.
    An den Barrikaden begegnet der Armenier Robert Broussard, während alle Polizeikräfte zum Einsatz gegen die linksradikalen Krawallmacher abkommandiert werden. Broussard hat ein feines Gespür für tüchtige Bullen. Der armenische Riese, der nicht mit der Wimper zuckt, fällt ihm auf.
    Als Broussard drei Jahre später ins Dezernat zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens eintritt, erinnert er sich an den ehemaligen Soldaten. Im Jahr 1972 wird »Casse-dents«, der nach dem gleichnamigen armenischen Instrument auch »Doudouk« genannt wird, in die Abteilung zur Bekämpfung krimineller Vereinigungen versetzt. Es sind die Regierungsjahre von Giscard d’Estaing. Die Jahre der Schwerkriminalität: Mesrine, die Gebrüder Zemour, Francois Besse, bewaffnete Überfälle in großer Zahl, Geiselnahmen … Doudouk ist überall zur Stelle, den Manurhin-Revolver im Anschlag.
    Jedes Jahr trägt der direkte Vorgesetzte eines Polizisten in dessen Personalakte eine Beurteilung ein – diese Note, von Eins bis Sieben, spielt eine Schlüsselrolle für seine Beförderung. Jedes Mal vor Weihnachten erhielt Kasdan eine Sieben.
    Volokine empfand eine gewisse Bewunderung für diesen alten Armenier, doch zugleich erfüllte ihn eine dumpfe Wut gegen den braven kleinen Soldaten der Republik. Er, der immer höchstens eine Vier kassiert hatte, weil ihm sein zwielichtiger Ruf anhaftete, wo er doch in Wirklichkeit zehnmal so genial wie Doudouk war.
    Der Russe hatte in der Akte auch die Fotokopie eines Abschnitts aus den Lebenserinnerungen von Broussard aufgestöbert. Der Kommissar hatte geschrieben: »Lionel Kasdan war einer der härtesten Männer des Dezernats. Ein Mann der Fäuste und der Ideen. Seine Fäuste behielt er den Gangstern vor. Seine Ideen behielt er für sich. Ich habe immer geahnt, dass der Armenier ein echter Intellektueller ist, der aber niemanden mit schlauen Reden angeödet hat. Er war ein schweigsamer, präziser Einzelgänger, aber er konnte auch im Team arbeiten und er war absolut loyal.«
    Sieben Jahre »an der Einsatzfront«, in denen Kasdan alles erlebt hatte.
    Verwundung.
    Brest 1974: Ein entlassener Manager nimmt acht Angestellte des Unternehmens, in dem er gearbeitet hat, als Geiseln. Eine Sondereinheit des Dezernats zur Bekämpfung der Schwerkriminalität greift noch am selben Abend ein. Kasdan nähert sich der Pforte des Firmengebäudes. In diesem Augenblick schaltet ein Journalist einen Scheinwerfer an. Der Geiselnehmer erblickt Kasdans Spiegelbild in der Glastür und schießt. Eine Garbe von vierundfünfzig Schrotkugeln trifft den Armenier in die Brust und in den Hals. Wie durch ein Wunder wird er von den Chirurgen der Universitätsklinik Brest gerettet. Dreimonatige Genesung. Dazu ein Glückwunschschreiben des Innenministers und die Verleihung des Verdienstordens – den man für

Weitere Kostenlose Bücher