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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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für Philologie begeisterten.
    Draußen hatte der Russe eine Eingebung. Hinter diesem Profil verbarg sich etwas anderes. Ein Bruch, den Volo nicht benennen konnte, den er aber witterte.
    Er fuhr zu einem Internetcafé und setzte sich an den hintersten Platz. Er wollte Spuren von Kasdan im Netz ausfindig machen. Zeitungsartikel, Mitarbeit bei armenischen Organisationen, Hochzeitsansprachen … Egal was, Hauptsache, es war privater Natur.
    Einige Klicks später traute Volokine seinen Augen nicht.
    Er war auf eine unerwartete Quelle gestoßen. Die Geschichte des armenischen Polizisten, von ihm selbst verfasst! Kein verlegtes Werk, nicht einmal ein chronologisch geordneter Text, sondern eine Reihe von Artikeln, die in Ararat , einem Magazin der armenischen Gemeinschaft, veröffentlicht worden waren. Diese Monatszeitschrift wurde von dem Verein UGA (Union Générale Arménienne) herausgegeben, der seinen Sitz in Alfortville hatte. Seit mehreren Jahren schrieb Kasdan jeden Monat einen Artikel über ein bestimmtes Thema; dabei ging er immer von einer persönlichen Anekdote aus, um schließlich auf sein Lieblingsthema zu kommen: sein geliebtes Armenien.
    Diese Chronik griff unterschiedlichste Themen auf. Probleme, die Armenier mit ihren Pässen hatten. Das Kloster San Lazzaro, das auf einer Insel vor Venedig lag. Die Romane von William Saroyan. Die Karriere von Henri Verneuil, einem französischen Filmregisseur, der eigentlich Achad Malakian hieß. Kasdan hatte sogar einen Text über eine amerikanische New-Metal-Gruppe geschrieben, System of a down , deren Mitglieder alle armenischer Herkunft waren. Das veblüffte Volokine. Seit Jahren hörte er die Musik dieser Gruppe aus Los Angeles – und fand es schwer vorstellbar, dass der alte Herr Chop-Suey oder Attack hörte, schrille Hits mit viel Gebrüll und E-Gitarre-Sound.
    Je mehr er las, umso größer wurde sein Erstaunen. Der Armenier erwies sich als gebildete und komplexe Persönlichkeit. »Ein Intellektueller«, hatte Broussard gesagt. Jedenfalls war er alles andere als ein brutaler, engstirniger Polizist, der »nichts kommen gesehen« hatte, wenn ein Verdächtiger ihm unter den Händen abgenippelt war.
    Der Artikel über San Lazzaro degli Armeni war besonders ergreifend. Nach seiner Rückkehr aus Kamerun im Jahr 1964 hatte sich Kasdan auf diese Insel zurückgezogen, die ausschließlich von armenischen Mönchen bewohnt wurde. Dort hatte er sich in die armenische Kultur vertieft und seine Kenntnisse der armenischen Sprache verbessert. Die Art, wie Kasdan sein abgeschiedenes Leben, seinen inneren Frieden beschrieb, weckte in Volokine Erinnerungen. Auch er hatte sich zeitweilig in die Einsamkeit zurückgezogen und diesen Frieden genossen – auf der Flucht vor dem Chaos seines Lebens, das von Gewalt und Drogen geprägt war.
    Es gab noch einen weiteren bemerkenswerten Artikel: über einen Maler, Arman Tatéos Manookian, einen türkischstämmigen Amerikaner, der sich für Hawaii begeistert und in den dreißiger Jahren auf Honolulu niedergelassen hatte. Eine Art Gauguin, der sehr farbenfrohe Bilder gemalt und sich mit siebenundzwanzig Jahren, schwer depressiv, vergiftet hatte.
    Kasdans Artikel war erschütternd. Der Armenier beschrieb die beiden Gesichter des Künstlers. Die klaren Linien und die gleichmäßigen bunten Farbtöne ohne Schattierung in seinen Gemälden und die Finsternis in ihm selbst. Volo ließ sich nicht täuschen. Kasdan schilderte die Depression aus der Innenperspektive . Der Polizist hatte selbst psychische Probleme gehabt.
    Das letzte markante Porträt war das von Achad Malakian alias Henri Verneuil. Die Persönlichkeit des französischen Filmregisseurs musste den Polizisten faszinieren. Zunächst war er ein Einwanderer wie Kasdan, und sein Werk drückte häufig unterschwellig dieses Gefühl der Verbannung aus. Außerdem war Verneuil der Mann des Actionfilms der sechziger Jahre, in denen Jean-Paul Belmondo und Alain Delon spielten. Volokine spürte, dass sich Kasdan immer mit Polizisten dieses Typs identifiziert hatte. Schließlich war er eine Art realer Belmondo, der Held von Angst über der Stadt.
    Außerdem spürte Volokine die Liebe des Armeniers zum Schwarz-Weiß-Film – diese Ästhetik der Kontraste, der Schlagschatten, der Gesichter, die wie Landschaften wirkten. Er betrachtete sich selbst als einen Krimihelden mit schleppender Stimme und antiquierten Wertvorstellungen. Jean Gabin in Lautlos wie die Nacht.
    Volokine verließ das Internetcafé um

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