Choral des Todes
Ermittlungsteams zu sein. Derjenige, der die Zeugen befragt, die nichts gesehen haben, und der die Orte aufsucht, die einen Kilometer vom Tatort entfernt liegen.
»Was für eine Idee?«
»Wir fahren in Götz’ Wohnung.«
»Ich hab sie bereits auf den Kopf gestellt. Dort ist nichts.«
»Haben Sie auch seinen Computer durchstöbert?«
»Nein, den Computer nicht. Ich kenne mich da nicht genug aus …«
»Also los.«
Kasdan baute sich vor ihm auf:
»Hör zu, Götz war ein großer Geheimniskrämer, ein echter Paranoiker. Er hätte niemals etwas Kompromittierendes hinterlassen, weder auf seinem Computer noch sonstwo.«
Zum ersten Mal seit dem frühen Nachmittag lächelte Volokine:
»Die Pädophilen sind wie Schnecken. Auch wenn sie sich noch so viel Mühe geben, hinterlassen sie immer eine Spur. Und diese Spur befindet sich auf ihrem Rechner.«
KAPITEL 19
»Ein MAC POWER PC G4«, murmelte Volokine, als er den Rechner in der in Dunkel getauchten Wohnung entdeckte, »bekannter unter dem Namen G4. Ein altes Modell.« Er schaltete das Gerät an, nachdem er den Rollladen im Zimmer heruntergelassen hatte. »Wir lassen ihn seine Programme laden.«
»Ist ein Macintosh ein Problem für dich?«
»Nein, PC oder Mac, das ist für mich egal. Jeder Kinderschänder hat seine Vorlieben. Aber sie dürfen keine Chance haben, weder so noch so.«
»Kennst du dich so gut mit Computern aus?«
Volokine nickte. Das Licht des Bildschirms beleuchtete seine Gesichtszüge von unten her und verwandelte seine Pupillen in zwei perlmutterne Tropfen. Ein Pirat, der einen Schatz entdeckte.
»Ich bin in Deutschland, bei den besten Hackern Europas, in die Schule gegangen – den Typen vom Chaos Computer Club.«
»Was sind das für Leute?«
»Absolute Computerfreaks. Sie nennen sich selbst eine ›galaktische Gemeinschaft‹, die sich für die Informationsfreiheit einsetzt. Sie führen spektakuläre Aktionen durch, die die Gefahren der Informationstechnologie für die Gesellschaft vor Augen führen sollen. In Deutschland sind sie in die internen Datennetze mehrerer Banken eingedrungen, um den lückenhaften Datenschutz offenzulegen.«
»Wie bist du mit ihnen in Kontakt gekommen?«
»Ein deutsch-französischer Fall von Pädophilie, bei dem sie uns geholfen haben. Sie haben es uns ermöglicht, die Spur zu dem Mistkerl zurückzuverfolgen. Ich sage es Ihnen noch einmal: Die Achillesferse der Perversen ist ihr Computer. Die Maschine bewahrt sämtliche Spuren ihrer Recherchen und ihrer Kontakte auf. Ich habe ganze Nächte damit verbracht, mit Hilfe von Peer-to-peer -Programmen Fotos und Videos im Netz aufzuspüren. Die Cyber-Fahndung ist die wichtigste Waffe gegen die Kinderschänder.«
Kasdan trat hinter den jungen Polizisten. Er fühlte sich wie aus einem anderen Zeitalter. Der Bildschirmschoner von Götz’ Computer zeigte eine endlose weiße Salzwüste. Zweifellos eine chilenische Landschaft.
»Der Computer ist nicht passwortgeschützt«, sagte Volokine. »Ein guter Anfang. Sonst wären wir geliefert gewesen. Es sei denn, wir würden den Computer in eine Werkstatt schaffen, um ihn auseinanderzunehmen.«
Kasdan verstand nicht. Auf dem Bildschirm hatte sich gerade ein Fenster geöffnet, das zur Eingabe eines Passworts aufforderte. Volokine erriet seine Verwirrung:
»Das Passwort, zu dessen Eingabe wir aufgefordert werden, betrifft nur die Sitzung. Um ausschließlich die Dokumente von Götz zu öffnen. Das ist etwas ganz anderes. Weil ich dieses Passwort umgehen kann.«
Er zog seine Drillichjacke aus und klimperte auf der Tastatur. Mit seinem zu eng sitzenden schwarzen Anzug, seinem zu dicken Hemd und seiner unechten Krawatte glich er einem Broker, der alle Usancen seiner Welt, vor allem das Gesetz der teuren Markenartikel, vergessen hat. Er erinnerte an einen ungehobelten jungen Burschen im Sonntagsstaat, der einer Novelle Maupassants entstiegen schien.
Kasdan sah ihm zu. Zu Beginn seines Ruhestandes hatte er eine Passion fürs Internet entwickelt und freute sich schon im Voraus auf das Vergnügen, den ihm diese neue Tätigkeit machen würde. Inzwischen war er ernüchtert. Die Welt des Webs hatte sich als eine Art Fastfood der Information entpuppt – oberflächlich, jeder Nuancierung, jeder Vertiefung abhold. Eine Maschine der Entfremdung , wie die Marxisten sagten. Heute begnügte er sich damit, seine Bücher und seine DVD s per Internet zu bestellen.
»Was machst du?«, fragte er.
»Ich wechsle ins Shell-Programm.«
»Drück dich
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