Choral des Todes
herschwang … Eine Tasche, die an einer Zwischenwand scheuerte …
Mit leisen Schritten schlüpfte er in die Dunkelheit des Flurs hinaus, die ihn wie ein schwarzes Gewässer umgab. Einer plötzlichen Regung folgend, beschloss er, es mit der guten alten polizeilichen Aufforderung zu versuchen.
Er baute sich in der Mitte des Flurs auf, die Waffe zur Decke gerichtet:
»Halt, stehen bleiben! Polizei!«
Das Geräusch verstummte augenblicklich.
Mit der linken Hand tastete Kasdan nach dem Lichtschalter. Vergeblich. Da erinnerte er sich, dass der Schalter einige Schritte weiter vorn war.
Die Sig Sauer jetzt wie eine Taschenlampe vor sich haltend, schlich er auf Zehenspitzen weiter. Er sah nichts. Dennoch witterte er die Gegenwart eines Menschen am Ende des Flurs.
Ein Schritt, zwei Schritte, und noch immer kein Schalter.
Adrenalinstöße in seinem Körper.
Kasdan hatte das Gefühl, gleich zu explodieren.
Eine Sekunde später brach es aus ihm hervor:
»Wer ist da, verdammt?«
Schweigen – dann, plötzlich, vom Ende des Gangs her ein Flüstern:
»Wer ist da, verdammt?«
Kasdan erstarrte. Seine linke Hand ertastete den Schalter.
Licht.
Im Flur war niemand außer ihm.
Aber das Entsetzen wich nicht.
Die Stimme, die ihm gerade geantwortet hatte, war die Stimme eines Kindes.
KAPITEL 25
Das Läuten des Telefons ließ ihn aus dem Schlaf auffahren.
Sein Herz klopfte.
Sein Gesicht glühte.
Sein Kopf war leer. Er sehnte sich zurück in den Schlaf.
Erneutes Läuten.
Nein, es war nicht das Telefon … Es war an der Wohnungstür. Kasdan hatte einen kurzen Moment der Klarheit. Das Klingeln an sich war schon seltsam, denn unten gab es eine Gegensprechanlage. Abgesehen von Nachbarn läutete bei ihm also niemand direkt an der Wohnungstür.
Er stand auf und spürte, in welchem Zustand er sich befand. Er war buchstäblich schweißgebadet – am ganzen Körper. Er hatte seine Träume ausgeschwitzt. Seine Angst. Die zerknitterten Leintücher waren getränkt von den Spuren seiner Panik. Und sein Körper war bereits kalt, eingehüllt in diesen dünnen, starren Schweißfilm.
Wieder klingelte es an der Tür.
Er machte sich nicht die Mühe, in einen Pullover oder eine Hose zu schlüpfen.
»Wer ist da?«
»Volokine.«
Er sah auf seine Uhr. 8.45 Uhr. Herrgott noch mal. Er wachte immer später auf. Was machte der Russe auf dem Flur? Es ärgerte ihn, dass man ihn auf diese Weise aus dem Bett holte. Trotzdem öffnete er die Tür in Unterhosen und T-Shirt.
»Zimmer-Service.«
Volokine hielt eine Papiertüte mit dem Logo einer Bäckerei in der Hand. Sein Anzug war noch verknitterter als am Vortag.
»Woher hast du meine Adresse?«
»Ich bin Polizist.«
»Und wie hast du die Sprechanlage ausgetrickst?«
»Auf die gleiche Weise.«
»Komm rein und mach die Tür zu.«
Kasdan drehte sich um und durchquerte das Wohnzimmer, um in die Küche zu gehen.
»Nicht schlecht bei Ihnen. Wie auf einem Lastkahn.«
»Fehlt nur der Fluss. Kaffee?«
»Ja, danke. Gut geschlafen?«
Schweigend griff Kasdan nach einem Filter, den er mit braunem Pulver füllte.
»Hab einige Albträume gehabt«, sagte er schließlich, »wegen dir.«
»Wegen mir?«
»Kinder, die morden. Ich hab mir mit diesen Scheußlichkeiten einen Teil der Nacht um die Ohren geschlagen.«
»Erbaulich, nicht wahr?«
Kasdan warf Volokine einen Blick zu. An den Türrahmen gelehnt, grinste er ihn an. Der Armenier nickte. Ja, er log. Er hatte nicht von mordgierigen Kindern geträumt. Er brauchte keine neuen Albträume – er hatte seine eigenen.
Diesmal war er einer Strafexpedition im afrikanischen Busch auf den Fersen. Skrupellose Soldaten, denen die militärische Zucht und Ordnung völlig abhandengekommen war. Weiße Mistkerle, die plünderten, vergewaltigten und mordeten. In seinem Traum litt Kasdan an einer Augenentzündung. Er marschierte im Regen, zählte die Orte des Grauens, folgte den Spuren der Übergriffe des gespenstischen Bataillons. Bevor es an der Tür läutete, hatte er die Bande endlich gefunden. Zerlumpte, blutverschmierte Soldaten, die im roten Regen durch Schlamm wateten.
Kasdan stellte die Kaffeemaschine an. Nach einigen Sekunden begann sie zu knattern, und ein dünnes schwarzes Rinnsal – duftend und appetitanregend – rann aus dem Filter in die Kanne.
»Und du«, fragte er, »hast du geschlafen?«
»Ein paar Stunden.«
»Wo?«
»Im Archiv der Dienststelle für Vermisste. Ich habe ein schwieriges Verhältnis zum Schlaf. Wenn er kommt, empfange
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