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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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geschnitzt wie die Dornenkrone Christi …
    Eine andere Idee tauchte in ihm auf. Eine Rute. Eine Rute, mit der man sich geißelt. Der Armenier erinnerte sich an dieses Detail: Das Miserere ist das Gebet, das die letzten Mönche, die die Geißelung praktizieren, bei ihrem Ritual rezitieren. Es gelang ihm nicht, diese Elemente zu ordnen, aber es waren Mosaiksteinchen eines Bildes. Das Miserere . Die Geißelung. Die Dornenkrone Christi. Die Strafe. Die Vergebung …
    Puyferrat ergriff wieder das Wort:
    »Das Beste habe ich bis zum Schluss aufgehoben. Bevor ich mich meldete, wollte ich diese Holzsplitter noch etwas eingehender analysieren. Weißt du, was Palynologie ist?«
    »Nein.«
    »Die Wissenschaft von der Verteilung organischer Staubteilchen, die an einem Objekt gefunden werden – Pollen, Sporen … Mit Hilfe dieser Wissenschaft kann man die Regionen identifizieren, in denen sich ein Objekt befunden hat. Man drückt ein Stück Klebeband auf das Objekt, zieht es wieder ab und untersucht dann die daran haftenden Staubteilchen unter einem Mikroskop. In Fort de Rosny gibt es eine Abteilung, in der solche Untersuchungen durchgeführt werden. Ich habe ihnen meine Proben geschickt und sie gebeten, ihre genauen Herkunftsorte zu ermitteln. Sie haben Instrumente …«
    Kasdan fiel ihm ungeduldig ins Wort:
    »Hast du die Ergebnisse, ja oder nein?«
    »Ich hab sie soeben bekommen. Die entdeckten Pollen und Sporen lassen darauf schließen, dass sich das Holz tatsächlich zumindest eine Zeitlang in Palästina befunden hat. Vielleicht sogar in der Umgebung von Jerusalem. Anders gesagt, es ist wirklich das gleiche Holz, aus dem die Dornenkrone Christi gefertigt wurde. In seiner modernen Version, wohlgemerkt …«
    Der Armenier betrachtete Volokine, dessen Augen funkelten. Der Russe schien von diesen neuen Informationen wie elektrisiert zu sein. Puyferrat beendete seine Ausführungen:
    »Wir haben auch Pollen gefunden, die charakteristisch sind für andere Regionen. Chile, Argentinien und auch die gemäßigten Zonen Europas. Das Mindeste, was man sagen kann, ist, dass diese Akazie eine weite Reise hinter sich hat …«
    Eine neue wichtige Erkenntnis, mit der Kasdan nichts anzufangen wusste. Er dachte an die Hieroglyphen. Einen »Stein von Rosette«, dessen Inschrift er nicht entziffern konnte. Dennoch sah er sich durchaus als Champollion, dem es gelingen würde, dieses Rätsel mit Hilfe eines einzigen Symbols, dessen tatsächliche Funktion er früher oder später verstehen würde, zu entschlüsseln …
    »Danke für die Ausführungen«, sagte er und drückte die Hand Puyferrats. »Wir müssen los.«
    »Ich begleite euch zurück. Ich warte noch auf die Ergebnisse der Analyse der Schuhabdrücke.«
    »Ich zähle auf dich. Gib mir Bescheid, sobald du sie hast.«
    Wieder dichtes Blattwerk. Wieder Rascheln. Auf der Schwelle des Glashauses hielt Puyferrat Kasdan am Ärmel zurück und wartete, bis Volokine außer Hörweite war:
    »Ist er im Dienst?«
    »Beurlaubt.«
    Puyferrat lächelte:
    »Euer Team ist wirklich die Armee des Kongo.«

KAPITEL 32
    Sie liefen zum Volvo, ihre Drillichjacken über den Kopf gezogen. Der Regen ließ nicht nach. Sobald sie im Wagen saßen, sagte der Russe:
    »Ganz in der Nähe, am Anfang der Rue Buffon gibt es ein McDonald’s.«
    »Du gehst mir mit deinen MacDonald’s auf den Keks.«
    »He! He! Wohl schlecht drauf, oder wie?«
    »Hab doch allen Grund dazu! Wir stecken bis zum Hals im Schlamassel. Und je weiter wir vorankommen, umso tiefer sinken wir ein.«
    Volokine sagte nichts. Kasdan warf ihm einen Blick zu – der junge Steppenwolf grinste ihn unter seinen triefenden Haaren an. Er machte sich über ihn lustig, aber auf eine verspielte Art und Weise.
    »Wenn du noch was weißt, dann sag es.«
    »Die Sache mit dem Baum, aus dessen Ästen die Dornenkrone gefertigt wurde, stimmt doch mit dem Rest überein, oder etwa nicht?«
    »Na klar.«
    »Die gute Frau hatte recht. Es ist das Holz, aus dem die Dornenkrone Christi hergestellt wurde und das seine Leidensgeschichte symbolisiert. Aber es ist ein Leiden, das erlöst. Christus ist gekommen, um die Schuld der Menschen ›zu tilgen‹. Sie auf sich zu nehmen, damit sie vergeben wird. Es ist eine Verwandlung: Jesus hat die irdischen Sünden in seine Hände genommen« – er ahmte die Geste nach – »und sie dann, sozusagen, in den Himmel geworfen.« Er öffnete seine Hände. »Dieses Holz erinnert an diese Geste. Unsere Mörder sind rein. Sie leiden wegen der

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