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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Angst. Damals sprachen unsere Eltern darüber.«
    Verdammter Mist! Volokine verfluchte sich selbst. Er hatte die ganze Nacht nach einem ehemaligen Chorknaben gesucht, der ihm etwas über El Ogro erzählen konnte. Doch das Wichtigste hatte er außer Acht gelassen: nachzuprüfen, ob noch weitere Sänger aus diesen Chören verschwunden waren.
    »Erzählen Sie weiter«, verlangte er.
    »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Eines Tages ging das Gerücht um, dass Jacquet verschwunden sei. Mehr weiß ich nicht. Er war genauso alt wie ich. Dreizehn Jahre. Ich glaube, die Polizisten vermuteten, er wäre ausgerissen.«
    »War er ein guter Sänger?«
    »Der beste. Ich kann Ihnen versichern, dass er den Ton hielt, wenn er im Miserere bis zum hohen C hinauf musste. Am Tag der Plattenaufnahme war er heiser. Darum habe ich den Solopart übernommen. Normalerweise war er unser Starsopran. Als ich damals von seinem Verschwinden erfuhr, habe ich mir gesagt, dass der Menschenfresser ihn entführt hatte. Ihn und seine Stimme. Das Jahr darauf kam ich in den Stimmbruch und habe den Chor verlassen. Dann verflogen meine Ängste.«
    Volokine leerte seinen Becher in einem Zug. Der Kaffee war noch warm, aber ihn fröstelte. Er dachte an Nicolas Jacquet. An Tanguy Viesel. An Hugo Monestier. Was war ihnen zugestoßen?
    Er blickte auf. Der Automechaniker redete weiter. Er sah ihn, allerdings durch einen roten Schleier, und hörte nicht mehr, was er sagte. Sein Blick fiel auf die Filzhandschuhe, und er klammerte sich an dieses Detail, um aus diesem Zustand herauszukommen.
    »Warum tragen Sie diese Handschuhe?«
    Mazoyer sah auf seine Hände:
    »Eine alte Gewohnheit. Ich reagiere allergisch auf Plastik. Sobald ich aufhöre, mit meinen Motoren und Werkzeugen herumzuhantieren, streife ich mir Handschuhe über. Dann muss ich mir keine Gedanken über das Material eines jeden Gegenstandes machen.«
    Volokine wusste sogleich, dass Mazoyer log.
    Dieses winzige Sandkorn stellte seine ganze Aussage in Frage.
    Régis Mazoyer zog den Reißverschluss seines Monteuranzugs hoch, als Zeichen dafür, dass er weiterarbeiten müsse:
    »All das kommt Ihnen bestimmt nicht besonders konkret vor.«
    »Das ist das Konkreteste, das ich seit langem gehört habe.«

KAPITEL 39
    Das Frühstück war nun ein festes Ritual. Volokine brachte die Croissants mit, Kasdan kochte den Kaffee.
    Und die beiden Partner tauschten die Informationen der Nacht aus.
    Der Russe hatte gegen neun Uhr geklingelt und Kasdan wieder mal geweckt – auch das gehörte zum Ritual. Gegen drei Uhr morgens war der alte Armenier über seinen Erinnerungen im Sessel eingeschlafen. Er hatte keinen Besuch bekommen und hatte seine historische Lektüre nicht wieder aufgenommen. Er war einfach eingenickt, zusammengesunken wie ein Sack alter staubiger Kartoffeln. Er erinnerte sich nicht, geträumt zu haben. Das schwarze Loch. Und das war gut so.
    Während er den Tisch deckte und die Kaffeemaschine lief, fasste Volokine seine nächtlichen Erkenntnisse zusammen. Das Wichtigste war dabei die Zeugenaussage eines Automechanikers, eines ehemaligen Sängers namens Régis Mazoyer. Als Kasdan den Namen hörte, machte es klick in seinem Hirn. Die verstörende Stimme, die er am ersten Abend in der Wohnung von Götz gehört hatte. Das Kind, das wie ein seelischer Magnet immer wieder schmerzhafte Erinnerungen anzog.
    Der Automechaniker hatte nochmals mit ihm über El Ogro gesprochen und ihm erzählt, dass ein anderer Chorknabe, der dreizehnjährige Nicolas Jacquet, ein virtuoser Sänger, im Jahre 1990 verschwunden war.
    Aus dieser Enthüllung hatte sich Volokine eine fantastische Geschichte zusammengereimt. Der Organist habe einem »Stimmen fressenden« Monstrum außergewöhnlich talentierte Sängerknaben zugeführt. Volokine hatte bereits überprüft, dass sowohl Tanguy Viesel als auch Hugo Monestier Stimmen von größter Reinheit besaßen.
    Noch abenteuerlicher war Volokines Theorie über die Morde:
    »Das ist Rache. Einige Kinder lehnen sich gegen dieses System auf. Sie räumen die Männer aus dem Weg, die an der Entführung ihrer Kameraden beteiligt sind. Wer sagt uns, dass Pater Olivier nicht auch ein ›Schlepper‹ war? Ich werde heute Morgen überprüfen, ob nicht auch in Saint-Augustin Kinder verschwunden sind und …«
    »Vorerst wirst du bei mir bleiben.«
    »Warum?«
    »Kaffee?«
    »Kaffee.«
    Kasdan servierte zwei Tassen Kaffee und ging dann ins Badezimmer. Er griff nach der Medikamentenschachtel. Depakote.

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