Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
Blutabnehmen da, die ganzen Kontrollen von Größe, Wachstum und Stoffwechsel. Alle paar Tage saß ich beim Kinderarzt mit dem Jungen und bin total darin aufgegangen, mich um das kleine Bündel zu kümmern.
Wir lebten in der Pflügerstraße, Sebastian Fischer, Phillip und ich. Phillip war eigentlich ein sehr ruhiges Baby, aber klar, manchmal wachte er auch auf und schrie und weinte und hatte Hunger und Durst.
Aber eines Nachts war es anders, da fingen diese stakkatoartigen Hustenanfälle an. Ich nahm ihn auf den Arm, legte ihn an die linke Schulter, wie ich es immer tat, lief hin und her im Zimmer, hüpfte mit ihm ein bisschen auf und ab in der Hoffnung, er würde sich freihusten. Aber von Stunde zu Stunde wurde es schlimmer, ich machte kein Auge zu. Sobald er sich etwas beruhigt und ich mich wieder hingelegt hatte, fing es wieder an.
Plötzlich schien Phillip auch keine Luft mehr zu bekommen, sein Körper lief ganz blau an. Sofort packte ich alles zusammen, Babydecke, Babyflasche, Krankenkassenkarte, meinen Mutterpass, und lief zum Arzt, so schnell ich konnte. An der Praxistür hing ein Schild mit der Adresse der nächtlichen Vertretung, das wusste ich. Ein Glück: Auch bis dahin war es nicht allzu weit.
Es dauerte kaum 15 Minuten, bis ich mit dem voll bepackten Kinderwagen in die Praxis stürmte und voller Panik rief: „Mein Kind hat Keuchhusten, bitte machen Sie was, er erstickt!“
Stelle nie vor dem Arzt eine Diagnose! Das habe ich bei dieser Gelegenheit gelernt.
„Ihr Junge hat eine Bronchitis, sie wohnen in Neukölln, da haben zurzeit viele Säuglinge eine Bronchitis, es ist Herbst, das kursiert da zurzeit“, sagte mir der Arzt, nachdem er gerade einmal zwei Minuten mein Baby untersucht hatte. Das war so ein Mann um die 40, kurzes, blondgraues Haar, dünn. Über seine randlose Brille starrte er teilnahmslos in die Luft, als er das Stethoskop auf die kleine Brust von Phillip setzte.
Er schaute mich nicht einmal an, setzte nur wortlos seine Unterschrift auf ein Rezept – er verschrieb Hustensaft und fiebersenkende Medikamente. Dann schickte er uns wieder nach Hause. „Wird schon wieder“, sagte er. „Nächster, bitte.“
Ich wollte gern glauben, dass Phillip nichts Schlimmeres hatte. Ein paar Tage ging es auch tatsächlich besser, aber dann fing wieder dieser Stakkatohusten an. Das ist ganz furchtbar, wenn dein Baby sich schüttelt vor Husten und du als Mutter überhaupt nichts tun kannst. Ich gab ihm den Hustensaft und beobachtete ihn genau, lief vor seinem Bettchen auf und ab, um sicherzugehen, dass er nicht wieder blau anläuft.
Ich wollte auch nicht ständig zum Arzt rennen und als völlig paranoide Mutter dastehen. Bei meinem Namen denken ohnehin immer alle direkt an das Schlimmste, vor allem Ärzte, das ist einfach so, damit muss ich leben.
Noch nie zuvor fühlte ich mich so hilflos, Phillip keuchte bei jedem Atemzug, dann hielt sein Atem wieder an. Dieses Mal wartete ich nicht, ich lief sofort wieder zu diesem Vertretungsarzt. Denn es passierte wieder nachts, und erneut schickte er mich bloß mit Medikamenten nach Hause. „Das dauert eine Woche bis zehn Tage, dann ist das wieder in Ordnung“, sagte er nur und klopfte mir dabei rüpelhaft auf die Schulter, als hätte ich eine Klassenarbeit versaut.
Er hatte dem Jungen irgendwas gespritzt, was ihn auch tatsächlich etwas beruhigte. Aber als Phillip am darauffolgenden Tag wieder blau anlief, fuhr ich zum Jugendamt. „Machen Sie was. Die Ärzte glauben mir nicht. Helfen Sie mir, damit mein Junge eine ordentliche Behandlung bekommt. Er hat Keuchhusten, ich weiß das, weil ich auch Keuchhusten hatte, als ich ein Säugling war, meine Mutter hat mir alles darüber erzählt. Machen Sie was!“
Eine Frau vom Jugendamt fuhr mit Phillip und mir in die Charité. Dort haben sie ihn sofort in Quarantäne gesteckt, er wurde mit Schläuchen und Geräten verbunden, die seinen Herzschlag und seinen Atem überwachten. Diagnose: Keuchhusten!
Für mich wurde so ein Klappbett bereitgestellt, das vorne und hinten überkippt, wenn man das Gewicht verlagert. Aber ich konnte eh kaum schlafen, wie sollte ich auch? Manchmal fielen mir die Augen einfach zu – dann lehnte ich mich zurück auf das Beistellbett.
Mehrere Mal riss mich der Alarm aus dem Schlaf, wenn Phillip wieder hustete. Du schreckst innerhalb von Sekunden hoch, so schlimm hört sich das an, wenn diese Geräte Alarm schlagen. Ein fürchterliches Piepsen. Ich nahm dann den Jungen in den Arm und
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