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Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)

Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)

Titel: Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane V. Felscherinow , Sonja Vukovic
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sich, dass sie organisatorisch eine Katastrophe sei und dass die Lehrer resigniert hätten und nur noch mit ein paar Schülern Unterricht machten, weil der Rest ohnehin nicht aufpasse. Die versuchen erst gar nicht, den Unterricht als etwas Spannendes zu verkaufen, sondern picken sich die wenigen raus, die mitmachen. Dann ist es für die anderen umso schwerer, den Anschluss zu halten. „Aber viele von denen haben reiche Eltern und bekommen nach dem Unterricht noch Nachhilfe“, hat Phillip mir erzählt. Das macht mir schon zu schaffen.
    Das Jugendamt, das für Phillips Pflegeunterkunft aufkommt, zahlt nicht auch noch Nachhilfeunterricht. Ich habe ihm deshalb angeboten, dass ich die Kosten für seine Nachhilfe übernehme, wenn er verspricht, nicht mehr so viel Zeit vor dem PC zu verbringen.
    Ich bezahle ihm auch Sprachreisen oder andere Dinge, bei denen er etwas dazulernt und seinen Spaß hat. Im Budget der Peters liegt so etwas nicht drin, die bekommen nicht viel Geld dafür, dass sie sechs kleine Lebewesen großziehen. Eigentlich ist das eine Unverschämtheit, denn immerhin tragen sie die gesamte Verantwortung. Jedenfalls ist Phillip kürzlich im Rahmen eines Austauschprogramms für zehn Tage mit einer kleinen Gruppe aus der Schule nach Wales gefahren. Das war freiwillig, keine gewöhnliche Klassenfahrt, aber Phillip wollte sein Englisch aufbessern, und ich finde das gut. Klar gebe ich dann die 700   Euro – wenn nicht für meinen Jungen, für wen denn dann? Ich bin so dankbar, dass ich diese Chance noch habe!
    Es hat ein Jahr gedauert, ehe Phillip mich wieder zu Hause besuchen durfte. Nachdem sie uns aus dem Zug in Wuppertal geholt hatten, nahmen sie mich mit zum Verhör auf ein Polizeirevier. Den Jungen brachten sie in einem ganz furchtbaren Kindernotdienst unter, das hat er mir erst viele Jahre später erzählt, so ganz genau weiß ich immer noch nicht, was in diesen Tagen passiert ist. Sie nahmen ihm wohl seinen Game Boy und auch sein Handy ab und sperrten ihn ein.
    Er musste vier Tage ausharren, bis Thorsten, der Familienhelfer vom Jugendamt Potsdam-Mittelmark, endlich die Zeit hatte, ihn abzuholen.
    Nach dem Verhör wollten sie mich einfach auf die Straße setzen. Aber ich habe gebettelt: Wo soll ich denn jetzt hin, ich habe keinen Pfennig Geld? Es war ja inzwischen spät in der Nacht. Dann fuhren sie mich samt meiner fünf Koffer in ein Obdachlosenheim, in dem ich noch drei Stunden schlafen konnte. Am Morgen lieh ich mir zehn Euro von einem Mitarbeiter dort und ließ ihm meine Sachen als Pfand zurück.
    Dann machte ich mich auf zur nächsten Volksbank und veranlasste eine telegrafische Postanweisung. Aus Amsterdam war das nicht möglich gewesen, aber jetzt war ich ja in NRW. Es war jetzt elf Uhr vormittags, auf mein Geld musste ich zwei Stunden warten. Da kaufte ich mir in der Zwischenzeit von meinen letzten Cent eine kleine Flasche Wodka in einem Kiosk. Selbst dazu fehlten mir 50   Cent, aber ich erklärte dem Inhaber des Geschäfts: „Es geht mir schlecht, sie haben mir heute Nacht mein Kind weggenommen. Ich brauche so dringend einen Drink.“ Da hat er mir die Differenz erlassen, ich brachte ihm die Schulden aber doch noch vorbei, als meine Postanweisung durch war.
    Das habe ich gern gemacht, denn wer gibt einem heute schon etwas umsonst? Der Kioskbesitzer war wirklich sehr nett und offenbar der Einzige, der mir vertraute.
    Dann kaufte ich mir eine große Flasche Wodka und eine Packung O-Saft. Es regnete in Strömen, mitten im Juli. Aber das war mir egal, in einem Park unter der Wuppertaler Schwebebahn stellte ich mich in den Schutz der Bäume. Leon war die ganze Zeit bei mir, wir waren pitschnass. Es machte mir nichts, wie eine Pennerin habe ich mich da hingehockt und in Ruhe einen Longdrink nach dem nächsten in einen weißen Pappbecher und dann in mich hineingekippt. „Vorbei. Alles vorbei“, dachte ich. „Alles umsonst. Keiner hört dir zu. Du hast dich voll verarschen lassen.“ Und ich dachte an Selbstmord.
    Aber dann wurde mir klar: Nee, der Phillip, der ist hier irgendwo und wartet auf dich. Und dann habe ich überlegt: Findest du ihn? Holst du ihn noch mal?
    Aber was wäre dann gewesen? Irgendwann bin ich zurück zu diesem Obdachlosenheim und habe mir ein Taxi rufen lassen, das meine Koffer und mich zum Bahnhof brachte. Abends war ich in Berlin, stopfte mein Gepäck am Hauptbahnhof in Schließfächer und ging mir Drogen besorgen. Wenige Stunden später wurde ich rückfällig und blieb es

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