Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
auch für lange Zeit.
Schon bald kam per Post der Bescheid, dass man mir das Sorgerecht und das Aufenthaltsbestimmungsrecht für meinen Sohn entziehen wollte. Der Prozess fand nur wenige Tage später statt und dauerte nur eine halbe Stunde. Zwar hatte sich mein Anwalt richtig viel Mühe gegeben. Aber er ist nicht gerade ein Rolf Bossi, und ich war ja nun mal rückfällig geworden und hatte mir damit alle Chancen, den Jungen zurückzubekommen, total leichtfertig verspielt.
Ich war so dumm, unglaublich dumm, vielleicht habe ich es nicht anders verdient.
Als klar war, dass Phillip nicht zurück zu mir, sondern zu Pflegeeltern kommen würde, durfte ich ihn erst einmal nur alle zwei Wochen im Jugendamt sehen. Wir saßen dann da mit acht Leuten, keine Ahnung, wer die alle waren. Klar, die dachten, ich haue wieder mit dem Jungen ab, wenn sie ihn unbeaufsichtigt zu mir lassen. Und das wäre ich auch! Ich wäre nach Thailand oder ans Ende der Welt, egal wohin. Aber das war nun nicht mehr zu machen.
Die einzige Möglichkeit, Zeit mit meinem Kind zu verbringen, bot dieser kahle Raum unter vielen Augen.
Wir haben viel geweint in diesen ersten Wochen nach unserer Trennung.
Ich habe vor den Treffen, ehrlich gesagt, immer ein bisschen gekifft, einfach damit ich ruhiger wurde. Denn ich stand in der Zeit ja völlig neben mir. Damit der Junge mir nicht so anmerkt, wie schlecht es mir ging, habe ich vorher geraucht.
Aber wenn er das Zimmer betrat, kamen mir trotzdem immer die Tränen und Phillip auch. Das Schlimmste war, dass er genauso traurig war wie sauer – und zwar auf mich.
Er gab mir die Schuld an dem, was passiert war. Er hat es nie ausgesprochen, aber ich weiß, dass er sich bis heute fragt, warum ich ihm das angetan habe. Er hat auch alles Recht der Welt, mich anzuklagen. Ich war schuld, dass er nun bei fremden Menschen leben, in einer neuen Schule klarkommen und neue Freunde finden musste. Das werde ich mir nie verzeihen. Und er auch nicht.
Ganz aufgeben wollte ich ihn natürlich aber auch nicht, also machte ich, was das Jugendamt von mir verlangte. Zu meinen Auflagen gehörte es, wieder in ein Methadonprogramm zu gehen. Als ich dieses Programm ein Jahr lang erfolgreich und ohne irgendwelche Beanstandungen absolviert hatte, durfte Phillip mich wieder zu Hause in Teltow besuchen, erst tageweise, später auch für ein ganzes Wochenende.
Dass meine Mutter mir nicht mehr zu helfen weiß und mich mit meinen Problemen allein lässt, hatte ich ja aus der BZ erfahren. Nachdem sie mein Leid in der mehrteiligen Serie ausgebreitet hatte, wollte ich aber sowieso nichts mehr mit ihr zu tun haben.
Nie wieder haben wir ein Wort gesprochen, sie hat sich noch kein einziges Mal seitdem erkundigt, wie es ihrem Enkelsohn geht.
Mein Vater hat von all dem kaum etwas mitbekommen, er lebt seit vielen Jahren in Thailand. Zwar hat er Phillip kennengelernt, als er mit seiner thailändischen Frau und der gemeinsamen Tochter zwischendurch auch wieder für ein paar Jahre in Berlin lebte und hier als Taxifahrer arbeitete. Inzwischen ist er aber mit seiner Rente längst wieder zurück in Thailand. Im asiatischen Paradies lässt es sich mit wenig Geld vermutlich besser aushalten als hier.
Meine Mutter bekam nur Anette und mich, aber väterlicherseits weiß ich nicht, wie viele Geschwister ich noch habe. Ich vermute mal drei. Meine halbthailändische Halbschwester kenne ich, sie müsste jetzt Mitte zwanzig sein, und wenn sich seit unserem letzten Treffen nichts geändert hat, dann ist sie arbeitslos wie so viele in meiner Familie.
Sie lebt in Berlin. Mein Vater will mit mir nichts mehr zu tun haben und hat auch meiner Halbschwester den Kontakt zu mir verboten. Ich war vor Kurzem an Silvester trotzdem mal bei ihr und habe meine Handynummer auf einem Zettel im Briefkasten hinterlassen.
Aber es gab nie einen Anruf, weder von ihr noch von ihm.
Meine Mutter war schadenfroh, weil das Mädchen leicht übergewichtig ist. Denn sie selbst hat sich einiges anhören müssen damals, als sie durch die Schwangerschaft ein paar Kilo zugenommen hatte.
Mich hat das total geprägt, dass mein Vater sie „fette Sau“ nannte und ihr dadurch das Gefühl gab, nicht liebenswert zu sein. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass ich so viel Wert auf meine Figur lege. Als ich noch jünger war, war ich sogar regelrecht abgemagert. Oft habe ich tagelang nichts gegessen, nur getrunken. Alles war okay, nur nicht dick zu sein, von klein auf habe ich gehört, Fettsein ist
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