Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
gleichzeitig ganz leicht. Ich war irrsinnig müde und das war ein unheimlich geiles Gefühl. Die ganze Scheiße war mit einem Mal weg. Ich fühlte mich so toll wie noch nie.“ Zu diesem Zeitpunkt ist Christiane 13 Jahre alt.
Bis hierher ließe sich das Familienschicksal der Felscherinows als soziale und persönliche Ursachenkette darstellen, die die Drogenaffinität von Christiane zumindest greifbar machen kann. Nach Erscheinen des Buches wurde jedoch zu Recht darauf hingewiesen, dass dies keine hinreichende Erklärung liefere und Christiane keineswegs nur ein Opfer ihres Milieus sei. Immerhin sei sie sehr schlau und eher rebellisch gewesen. Ein Leben in der für Kinder damals sehr tristen Gropiusstadt der Siebzigerjahre und ein problematisches Elternhaus würden ja nicht automatisch in die Drogensucht münden. Da spielten andere, gesellschaftliche Faktoren eine Rolle, etwa die damals mangelnden Möglichkeiten, den Erfahrungshunger und die Spannungen der Pubertät auszuleben.
Es ist schwer zu beurteilen, ob Christiane neben ihrer Intelligenz auch über genügend Wahlfähigkeit verfügte, um eigene Entscheidungen zu treffen. Hat ihr Wille, dem Elternhaus und der Einsamkeit zu entfliehen, die Tür zur Sucht geöffnet? Oder war es ihr Gefühl der Erhabenheit im Rausch und in der neuen Gemeinschaft, das sie zu Hause ausbrechen ließ? In Deutschland entbrannte eine Debatte um diese Frage.
Christiane will nur eins: Das Hochgefühl, das sie auf H erlebt, von nun an immer wieder haben. Und weil das Geld, das sie sich auf der Straße zusammenschnorren kann, nicht reicht, um ihren Konsum zu finanzieren, begeht sie kleine Delikte.
Als sie 14 ist, lässt sie sich von einem Junkie einen Druck setzen. Und sie kommt mit Detlef zusammen, der inzwischen so süchtig ist, dass die Heroinbeschaffung zur ständigen Notwendigkeit wird. Für ihn gibt es nur noch einen Weg, das nötige Geld zu beschaffen: Er geht am Berliner U-Bahnhof Zoologischer Garten auf den Strich. „Ich empfand keinen Ekel, bei dem, was Detlef tun musste“, sagte Christiane damals. „Wenn er die Freier anfasste, das war nicht so schlimm. Das war seine dreckige Arbeit, ohne die wir kein Dope bekommen hätten. Ich wollte nur nicht, dass die Kerle Detlef anfassten. Denn er gehörte mir allein.“
In einer heruntergekommenen Wohnung leben Christiane und Detlef mit ihren Freunden Bernd und Axel an den meisten Wochenenden wie eine Familie zusammen. Die Jungen beziehen für Christiane ein Bett jeden Tag neu mit frisch gewaschener, weißer Bettwäsche. Doch drumherum wuchert der Schimmel. Die jungen Fixer spritzen Blutrückstände aus den Kanülen in den Teppichboden und drücken Zigaretten in verdorbenen Essensresten aus. An diesem Ort erlebt Christiane mit Detlef ihr erstes Mal.
Sie leidet zu diesem Zeitpunkt bereits an Gelbsucht, die ausgerechnet auf einer Klassenfahrt ausbricht, sodass sie weit entfernt von Berlin, in Baden-Württemberg, in ein Krankenhaus muss. Ihre Mutter besucht sie nicht. Das Mädchen hat zu diesem Zeitpunkt schon viel Gewicht verloren, doch sie erklärt es mit schnellem Wachstum und Pubertät. Ihre Mutter bezweifelt das nicht. Sie fällt regelmäßig in Ohnmacht, doch ihre Mutter bemerkt das nicht, weil Christiane kaum noch zu Hause ist. Mit der Ausrede, sie übernachte bei einer Freundin, zieht sie nun meistens mit ihren Fixerfreunden herum.
Sie habe wohl lange nicht sehen wollen, was mit ihrer Tochter los war, erklärt Christianes Mutter im Buch. Sie erzählt, dass sie als berufstätige Mutter wohl nicht sorgfältig genug auf sie geachtet habe. Und dass sie Warnungen ihres Freundes und auch Hinweise ihrer Tochter lange ignorierte. „Ich war natürlich sicher, dass Christiane bei den Kirchenleuten in guten Händen war“, erzählt die Mutter in „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“.
Christiane beschleicht zunehmend ein schlechtes Gewissen, weil Detlef für ihre Sucht mit anschafft. Als sie an einem Abend auf der Straße Geld sammeln will, weil er einen schweren Entzug durchmacht, wird sie von dem eingangs schon erwähnten Mann in dem Ford angesprochen. Von nun an geht Christiane auf den Strich.
Axel stirbt bald darauf an einer Überdosis Heroin, und Detlef und Christiane schließen sich mit Babsi und Stella zu einer Clique von Drogenstrichern zusammen. Doch bald macht Babsi Schlagzeilen als Deutschlands jüngste Drogentote, und Detlef und Christiane haben nur noch einander. Sie nehmen sich immer wieder den Entzug vor, jeder Schuss soll
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