Christine Feehan - Karpatianer 13 - Dunkler Ruf des Schicksals
gequiekt, gelacht und um mehr gebettelt hatte. Die Erinnerung war sehr lebhaft und rüttelte an den sorgfältig verschlossenen Türen in ihrem Unterbewusstsein.
Wie ist das möglich? Ich habe das alles weggeschoben. Sie wandte sich instinktiv an Nicolae, die einzige Person, an die sie glaubte.
Wie könntest du dich nicht mit diesem Kind identifizieren ? Sam hatte ein normales Leben mit seiner Mutter, bis ein Monster bei ihnen auftauchte. Es tut nichts zur Sache, dass dieses Monster ein Mensch war. Das Monster fand die beiden, und das Kind konnte nichts tun, um das Resultat dieser Begegnung zu verhindern. Der Junge gibt sich die Schuld an Dingen, auf die er keinen Einfluss hatte. Wenn du ihn anschaust, siehst du dich selbst.
Die Ruhe in seiner Stimme reichte aus, um ihr Halt zu geben. Und sie konnte nicht leugnen, dass an seinen Worten viel Wahres war. »Alles wird gut, Sam. Vater Mulligan kümmert sich um dich, und ich komme dich oft besuchen. Sprich bitte mit dem Priester, der auf dich wartet, und sag den Polizeibeamten genau, was passiert ist.« Im Geist gab sie Sam noch einen kleinen Anstoß, der ihm helfen sollte, die Fürsorge des Priesters anzunehmen.
Sam hob tapfer das Kinn. Destiny fuhr ihm durchs Haar. »Ich komme wieder, Sam, versprochen. Heute Nacht habe ich noch etwas zu erledigen. Ich möchte, dass du ein bisschen Schlaf bekommst, wenn du mit der Polizei gesprochen hast.« Am liebsten hätte sie die Zeit zurückgestellt und Sam die Jahre erspart, in denen er um sein Überleben hatte kämpfen müssen, in einer Welt, die ein Ungeheuer auf den Kopf gestellt hatte. »Ich komme wieder«, wisperte sie noch einmal.
»Ich werde gut auf ihn aufpassen«, versicherte Vater Mulligan. »Es gibt keinen Grand zur Sorge, meine Liebe.«
Destiny nickte und biss sich auf die Lippe, als sie sich zum Gehen wandte. Sam sah ihr nach. Sie lächelte ihm noch einmal über die Schulter zu und hob eine Hand. Schon spürte sie, wie sich ihr Denken wieder auf Nicolae konzentrierte, wie es jetzt alle paar Minuten zu passieren schien. Ihr Bedürfnis, wissen zu wollen, ob er am Leben und unversehrt war, empfand sie als weiteres Ärgernis. Sie schätzte ihre Unabhängigkeit sehr, und es passte ihr gar nicht, dass sie ständig seine geistige Nähe suchte.
Sie beschloss, zu Fuß zu gehen, da sie das Gefühl hatte, die Normalität einer menschlichen Betätigung zu brauchen. Die Zeit beim Gehen konnte sie nutzen, um ihre Gedanken zu sammeln. Sie hatte Velda, Inez und Helena versprochen, John Paul zu helfen. Sie musste weitere Nachforschungen anstellen. Aber es fiel ihr schwer, ihre Gedanken von Sam loszureißen. Im Grunde hatte sie nie wahrhaben wollen, dass auch Menschen wahre Monster sein konnten. Sie hatte sich so ausschließlich auf Vampire konzentriert, dass ihr jede andere Form von Bedrohung entgangen war.
Destiny war so tief in Gedanken versunken, dass es ihr kaum auffiel, als der Wind umschlug, in eine andere Richtung wehte und Abfall auf den Straßen aufwirbelte. Eine Straßenlaterne blinkte und flackerte, bevor sie abrupt mit einem sprühenden Funkenregen erlosch. Destiny hob den Kopf und schaute sich prüfend um. John Paul war unterwegs und offensichtlich im Begriff, die Bar »Tavern« zu betreten. Sein gesenkter Kopf und sein schlurfender Gang verrieten, wie niedergeschlagen er war. Ein Stück weiter die Straße hinunter zerbarst eine zweite Straßenlaterne, als wäre sie von einem Stein getroffen worden. Glas splitterte und fiel auf den Boden.
John Paul, der gerade die Tür zur Bar öffnen wollte, zögerte und blickte mit leicht gerunzelter Stirn zu der Laterne. Als die zweite Laterne nicht weit von Destiny zerbrach, schaute er die Straße hinunter, ließ die Tür zur Bar wieder zufallen und kam auf Destiny zu. Er schaute nicht sie, sondern die Glassplitter an. Die Bruchstücke der großen Lampe schienen ihn magisch anzuziehen.
Destiny ließ ihn nicht aus den Augen. John Pauls Miene war ausdruckslos, seine Augen leicht glasig. Als er bei den Scherben stehen blieb, bebten seine massigen Schultern, und seine Brust hob und senkte sich, als wäre er ein Rennen gelaufen. Seine riesigen Hände öffneten sich und ballten sich dann zu straffen Fäusten.
Destiny suchte den Himmel ab. Er verdunkelte sich zusehends, und graue Dunstschleier zogen sich zu großen, Unheil verkündenden Wolken zusammen. Kleine Ballen von Staub wirbelten über die Straße und lösten sich auf, wenn Autos vorbeirasten. Nebelschwaden begannen über den
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