Christmasland (German Edition)
hochgeschleudert, aber in Zeitlupe.
Im lautlosen Schneesturm der Trümmer – ein wirbelnder rosafarbener Rauch – verlor V ic Charlie Manx’ Wagen völlig aus den Augen. Alles, was sie sah, war Wayne, der sich auf alle viere hochstemmte wie ein Sprinter vor dem Start. Das Mädchen mit den langen roten Haaren stand hinter ihm und hielt das Messer jetzt mit beiden Händen. Die Erde bebte, und Manx’ Tochter verlor das Gleichgewicht und taumelte rückwärts gegen die Mauer am Rand des Abgrunds.
V ic machte einen Bogen um das Mädchen. Millie schaute ihr nach, und ihr mit Zähnen gespicktes Maul öffnete sich von Wut verzerrt. Sie stieß sich von der Mauer ab, die jedoch nachgab und sie in den Abgrund riss. V ic sah, wie Millie von dem weißen Lichtgestöber verschluckt wurde.
V ics Ohren dröhnten. Sie rief Waynes Namen, konnte ihre eigene Stimme aber nicht hören. Er kam – blind und taub – auf sie zugerannt, ohne sich noch einmal umzublicken.
Die Triumph trug V ic an seine Seite. Sie streckte den Arm aus, packte ihn hinten an den Shorts und hievte ihn, ohne lang samer zu werden, auf den Sozius. Sie hatte alle Zeit der Welt. Alles bewegte sich so langsam, dass sie jeden Funken hätte zählen können, der in der Luft schwebte. Ihre verletzte Niere beschwerte sich bei der plötzlichen Belastung, aber V ic ließ sich davon nicht aufhalten.
Feuer zuckte vom Himmel herab.
Irgendwo hinter ihr erstickte der Schnee von hundert Wintern das Christmasland, ein Kissen, das auf das Gesicht eines Todkranken gepresst wurde.
Es war ein schönes Gefühl gewesen, von Lou Carmody gehalten zu werden, den vertrauten Geruch von Kiefernholz und Autowerkstatt zu riechen. Noch besser war es, die Arme ihres Sohnes um ihre Taille zu spüren. Sie merkte, wie das Leben sie langsam verließ.
Wenigstens war in der dröhnenden apokalyptischen Finsternis keine Weihnachtsmusik zu hören. Wie sie Weihnachtsmusik hasste! Sie hatte sie schon immer gehasst.
Ein weiteres brennendes Baumstück krachte neben ihr aufs Pflaster, und verkohlte, tellergroße Holzstücke flogen durch die Luft. Ein glühender Splitter zischte an ihr vorbei und schlitzte ihr über der rechten Augenbraue die Stirn auf. Sie spürte es kaum.
Mühelos schaltete sie in den vierten Gang.
Ihr Sohn drückte sich fester an sie. Ihre Niere beschwerte sich erneut. Er drückte ihr das Leben aus dem Leib, und es fühlte sich gut an.
Sie legte die linke Hand auf seine Hände über ihrem Bauchnabel. Streichelte seine kleinen weißen Fingerknöchel. Er gehörte nach wie vor zu ihr. Das wusste sie, weil seine Haut warm war, nicht eiskalt wie Charlie Manx’ Miniaturvampire. Er würde immer zu ihr gehören. Er war Gold, und Gold war beständig.
Hinter ihr brach der Rolls-Royce aus dem wabernden Rauch hervor. Sie hörte ihn in der Totenstille, hörte sein unmenschliches Knurren, das hasserfüllte Brüllen des Präzisionsmotors. Seine Reifen trugen ihn ratternd und krachend über ein Feld aus zertrümmertem Fels. Seine Scheinwerfer verwandelten den Staubsturm in diamantenes Funkengestöber. Manx war über das Lenkrad gebeugt und hatte das Fenster heruntergekurbelt.
» ICH WERDE DICH ABSCHLACHTEN, DU JÄMMERLICHE SCHLAMPE! «, schrie er, und auch das hörte sie, wenn auch wie aus großer Ferne, wie das Rauschen in einer Muschel. » ICH WERDE EUCH ÜBERFAHREN, EUCH ALLE BEIDE! IHR HABT MEINE WELT ZERSTÖRT, UND ICH WERDE EUCH UMBRINGEN! «
Die Stoßstange des Wagens krachte gegen ihr Hinterrad, und die Triumph machte einen Satz nach vorn. Der Lenker drohte V ic zu entgleiten, aber sie hielt ihn fest umklammert. Wenn das V orderrad wegkippte, würde das Motorrad sie abwerfen und der Wraith sie überfahren.
Wieder krachte die Stoßstange des Wraiths in sie hinein. V ic wurde nach vorn geschleudert, und ihr Kopf wäre fast auf dem Lenker aufgeschlagen.
Als sie das Kinn hob, tauchte die Shorter Way Bridge vor ihr auf, die Einfahrt ein schwarzes Loch in dem zuckerwattefarbenen Dunst. V ic atmete aus und zitterte fast vor Erleichterung. Die Brücke war da und würde sie von hier wegbringen. In gewisser Hinsicht waren die Schatten, die in ihrem Inneren lauerten, genauso tröstlich wie die kühle Hand ihrer Mutter auf ihrer fieberheißen Stirn. Sie vermisste ihre Mutter und ihren V ater und Lou, und es tat ihr leid, dass sie nicht mehr Zeit miteinander verbracht hatten. Fast rechnete sie damit, dass nicht nur Louis, sondern sie alle auf der anderen Seite der Brücke auf sie warten und sie
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