Christmasland (German Edition)
dort und wartete darauf, dass V ic auftauchte. Oder er stand am Ende der Sandstraße und beobachtete das Haus.
Hinter ihr war ein lautes Krachen zu hören, und etwas stürzte herab. Rauch wurde aufgewirbelt. Ein heißer Funke brannte sich in ihren Arm. Ihr wurde bewusst, dass sie keine Wahl hatte. Möglicherweise wartete er vor dem Haus auf sie, aber einen anderen Weg gab es nicht – sie musste nach
Draußen
D er V orgarten war so überwuchert, dass sie das Gefühl hatte, durch ein Drahtgewirr zu laufen. Ständig blieb sie mit den Füßen im Gras hängen. Eigentlich gab es gar keinen richtigen V orgarten, nur eine mit wilden Büschen und Unkraut bewachsene Fläche, an deren Ende der Wald begann.
V ic sah nicht zur Garage oder zum Haus zurück, und sie rannte auch nicht zu der Sandstraße. Sie fürchtete, Manx könnte sein Auto irgendwo dort geparkt haben und nach ihr Ausschau halten. Stattdessen lief sie auf die Bäume zu. Den kleinen Abhang bemerkte sie erst, als sie schon darüber hinweg war und etwa einen Meter tief auf den Waldboden stürzte.
Sie kam hart auf den Zehen auf und spürte, wie ein heftiger Schmerz ihren rechten Oberschenkel durchzuckte. Dann landete sie Kopf voran in einem Haufen trockener Zweige. Sie rollte sich auf den Rücken. Über ihr ragten die Tannen auf, deren Äste im Wind wogten. Der Weihnachtsschmuck daran blitzte und funkelte, und sie fragte sich, ob sie eine Gehirnerschütterung erlitten hatte.
Als sie wieder zu Atem gekommen war, richtete sie sich auf die Knie auf und blickte zum Haus zurück.
Die große Garagentür stand offen, aber der Rolls-Royce war verschwunden.
Sie war überrascht – beinahe enttäuscht – darüber, wie wenig Rauch zu sehen war. Ein paar graue Schwaden stiegen von der Rückseite des Hauses auf. Auch durch die Eingangstür drang Rauch. Sie konnte das Feuer jedoch aus dieser Entfernung weder hören noch sehen. Es war keineswegs so, dass das Haus lichterloh brannte.
V ic richtete sich auf und ging weiter. Rennen konnte sie zwar nicht, aber immerhin schnell humpeln. Ihre Lunge brannte, und bei jedem zweiten Schritt spürte sie ein schmerzhaftes Reißen in ihrem rechten Oberschenkel. Die zahllosen anderen Schmerzen fielen dagegen kaum ins Gewicht: das kalte Brennen an ihrem rechten Handgelenk, das stete Pochen in ihrem linken Augapfel.
Sie hielt sich parallel zu der Sandstraße, bereit, sich hinter einem Busch oder einem Baum zu verstecken, sobald der Rolls-Royce auftauchte. Die Sandstraße führte geradewegs von dem kleinen weißen Haus weg, und weder von dem alten Auto noch von Charlie Manx oder dem toten Jungen war das Geringste zu sehen.
Sie hatte jedes Zeitgefühl verloren und hatte deshalb keine Ahnung, wie lange sie auf der schmalen Straße unterwegs war. Jeder einzelne Moment schien der längste ihres Lebens zu sein. Später kam es ihr so vor, als hätte ihre Flucht durch den Wald ihre gesamte restliche Kindheit gedauert. Als sie endlich den Highway erreicht hatte, war sie erwachsen geworden. Etwas von ihrem früheren Selbst war im Sleigh House verbrannt.
Die Böschung, die zum Highway hochführte, war höher als die, die sie im Wald hinuntergestürzt war, und sie musste auf Händen und Knien hinaufklettern und sich dabei an Grasbüscheln festhalten. Als sie das obere Ende des Abhangs erreicht hatte, hörte sie das Knattern und Jaulen eines Motorrades. Es kam von rechts, aber als sie sich endlich aufgerichtet hatte, war es schon vorbei – eine Harley mit einem großen schwarz gekleideten Typen darauf.
Der Highway führte schnurgerade durch den Wald, über dem sich jetzt die Sturmwolken auftürmten. Zu ihrer Linken entdeckte V ic eine Kette hoher blauer Berge, und zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, sich in großer Höhe zu befinden. In Haverhill, Massachusetts, hatte sie noch nie einen Gedanken an die Geländehöhe verschwendet, aber jetzt wurde ihr klar, dass nicht etwa die Wolken besonders tief hingen, sondern dass sie selbst sich vermutlich in einem Gebirge befand.
Sie taumelte auf den Asphalt und lief hinter der Harley her, wobei sie laut schrie und mit den Armen winkte. Er wird mich nicht hören, dachte sie. Nicht über das Dröhnen seiner Maschine hinweg. Aber der Fahrer sah tatsächlich über die Schulter zurück, bremste scharf ab und fuhr an den Straßenrand.
Er war ziemlich dick, trug keinen Helm, aber einen Bart um sein Doppelkinn und eine V okuhila-Frisur. V ic lief auf ihn zu und spürte bei jedem Schritt den Schmerz in ihrem
Weitere Kostenlose Bücher