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Christmasland (German Edition)

Christmasland (German Edition)

Titel: Christmasland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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geben. Er war pummelig und hatte fettiges Haar, und sie hatte den V erdacht, dass er noch nie von einem hübschen Mädchen geküsst worden war. Natürlich hatte V ic nicht das Aussehen eines Unterwäschemodells, aber hässlich war sie nicht. Dass er dasselbe dachte, merkte sie daran, wie zögerlich er ihr Handgelenk losließ.
    »Wir gehen jetzt da rein und rufen die Bullen, okay?«, sagte er.
    »Und die Feuerwehr«, sagte sie.
    »Die auch«, erwiderte er.
    Lou führte sie in den kleinen Laden mit dem Holzfußboden. Auf der Theke schwammen in einem Glas mit gelblicher Flüssigkeit eingelegte Eier, die aussahen wie die Augäpfel von Kühen.
    An der Kasse stand eine kleine Schlange von Leuten. Der Mann hinter der Theke hatte eine Maiskolbenpfeife im Mundwinkel. Mit der Pfeife, den zusammengekniffenen Augen und dem vorstehenden Kinn sah er ein wenig wie Popeye aus.
    Ein junger Mann in Flecktarnuniform stand, ein paar Geldscheine in der Hand, an der Spitze der Schlange. Seine Frau wartete mit einem Kleinkind auf dem Arm neben ihm. Sie war höchstens fünf Jahre älter als V ic und hatte das blonde Haar zum Pferdeschwanz zusammengebunden. Das Kleinkind besaß einen großen, runden Kopf und trug einen Batman-Strampler mit Tomatenflecken auf der Brust. Offenbar hatte es gerade zu Mittag gegessen.
    »Entschuldigung«, sagte Lou mit seiner hohen, näselnden Stimme.
    Niemand schenkte ihm Beachtung.
    »Hattest du nicht mal eine Milchkuh, Sam?«, fragte der junge Mann in Uniform.
    »Das stimmt«, sagte der Typ, der aussah wie Popeye, während er ein paar Tasten an der Kasse drückte. »Aber ich rede nicht gern über meine Exfrau.«
    Die alten Männer an der Theke brachen in Gelächter aus. Die Blondine mit dem Kleinkind lächelte geduldig, und als sie sich im Laden umsah, fiel ihr Blick auf Lou und V ic. Sie runzelte besorgt die Stirn.
    »Alle mal herhören!«, rief Lou, und dieses Mal drehten sich die Leute im Laden zu ihm um und starrten ihn an. »Wir müssen Ihr Telefon benutzen.«
    »Hallo, Liebes«, sagte die Blondine mit dem Kleinkind an V ic gewandt. An ihrem Tonfall erkannte V ic, dass sie Kellnerin war und jeden mit Liebes, Süße, Schatz oder Liebling ansprach. »Geht es dir gut? Was ist passiert? Hattet ihr einen Unfall?«
    »Sie hat Glück, dass sie noch am Leben ist«, sagte Lou. »Ein Mann hat sie in seinem Haus eingesperrt. Ein Stück die Straße runter. Er hat versucht, sie bei lebendigem Leib zu verbrennen. Das Haus steht immer noch in Flammen. Sie konnte fliehen. Aber der Scheißkerl hat ein kleines Kind in seiner Gewalt.«
    V ic schüttelte den Kopf. Nein … nein, so stimmte das nicht ganz. Der Junge wurde nicht gegen seinen Willen festgehalten. Eigentlich war er auch gar kein Junge mehr. Er war etwas anderes – etwas, was so kalt war, dass man es kaum anfassen konnte. Aber sie wusste nicht, wie sie das erklären sollte, deshalb sagte sie lieber gar nichts.
    Während Lou Carmody sprach, sah die Blondine zwischen ihm und V ic hin und her, und als er fertig war, hatte sich ihr Blick leicht verändert. Sie betrachtete V ic ruhig und abschätzend – V ic kannte den Blick von ihrer Mutter. Genau so taxierte Linda eine V erletzung, schätzte ihren Schweregrad ein und entschied, welche Maßnahmen ergriffen werden mussten.
    »Wie heißt du, Liebling?«, fragte die Blondine.
    » V ictoria.« Entgegen ihrer Gewohnheit nannte V ic ihren ganzen V ornamen.
    »Du bist jetzt in Sicherheit, V ictoria«, sagte die Blondine, und ihre Stimme klang so freundlich, dass V ic zu schluchzen begann.
    Die Blondine übernahm mit ruhiger Sicherheit das Kommando, ohne ihre Stimme zu heben oder auch nur das Kleinkind abzusetzen. Wenn V ic später in ihrem Leben darüber nachdachte, welche Eigenschaften ihr an einer Frau am besten gefielen, musste sie immer an die Blondine denken, an ihre Selbstsicherheit und stille Gelassenheit. Der Inbegriff des Mutterseins bestand für V ic darin, für andere da zu sein und sich um sie zu kümmern. So wollte sie auch werden: eine Mutter, die in schwierigen Situationen stets wusste, was zu tun war. In gewisser Weise hatte V ic ihren eigenen Sohn, Bruce, in diesem Moment empfangen, obwohl sie erst drei Jahre später mit ihm schwanger wurde.
    V ic setzte sich auf ein paar Kisten neben der Theke. Der Mann, der sie an Popeye erinnerte, war bereits am Telefon und bat darum, mit der Polizei verbunden zu werden. Seine Stimme klang ruhig. Niemand verlor die Fassung, weil die Blondine es allen vormachte und die

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