Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
ähnliches Gefühl, wie es die ungestüme Bergwildnis in ihr auslöste. Während des Blizzards war das Land abweisend und feindlich gewesen, doch jetzt, im strahlenden Sonnenschein, erschien es ihr beinahe lieblich, und sie konnte sich nichts Schöneres vorzustellen, als hier zu leben.
»Worauf warten Sie noch?«, fragte sie ihn lächelnd und erstaunt über ihre eigene Kühnheit. »Wann zeigen Sie mir endlich, wie man einen Schlitten steuert? Oder haben Sie noch eine von diesen grausamen Storys auf Lager?«
Alex konnte es nicht leiden, wenn man ihn in die Defensive drängte, und brauchte einige Zeit, bis sich seine Miene wieder aufhellte. Vielleicht lag es an der stürmischen Begrüßung, die ihm die Hunde zuteil werden ließen. »Nun ja«, begann er verlegen, »wie man die Hunde anspannt, wissen Sie ja schon, und wie man einen Trail in den Tiefschnee tritt, haben Sie auch einigermaßen begriffen.« Sein jungenhaftes Grinsen kehrte zurück. »Wenn auch nicht viel gefehlt hätte, und ich hätte Sie aus dem Schnee graben müssen, nicht wahr?«
Sie reagierte im gespielten Zorn: »Wie bitte? Ich stapfe mir die Luft aus den Lungen und bin Ihnen ständig zwei Schritte voraus, und Sie werfen mir vor, beinahe in den Schnee gefallen zu sein?« Für kein Geld der Welt hätte sie zugegeben, dass er recht hatte. »Fragen Sie die Hunde, die wissen es besser.«
»Billy?«, rief er.
Der Husky jaulte leise.
»Da haben Sie’s, er gibt mir recht.«
»Seit wann verstehen Sie die Hundesprache?«
»Seit ich hier draußen bin und mich mit Billy, Smoky und den anderen beschäftige«, erwiderte sie. »Man muss ein Gefühl für die Hunde entwickeln, wenn man mit einem Gespann zurechtkommen will. Man muss sogar auf sie eingehen, wenn man sie füttert. Sie sind genauso empfindlich wie Männer.«
»Da mögen Sie recht haben«, erwiderte er zu ihrer Überraschung.
Er führte sie um den Schlitten herum und erklärte ihr in wenigen Worten, was sie wissen musste, um ihn zu steuern, ohne schmückendes Beiwerk oder spöttische Bemerkungen. Natürlich musste man ein Gefühl für die Hunde entwickeln, ähnlich wie ein Reiter, der die Launen seines Pferdes kennen musste, wenn er mit ihm erfolgreich sein wollte. Genauso wichtig war es aber auch, den Schlitten zu kennen. Auf ebenen Strecken stand man auf den Kufen oder dem Trittbrett, die Hände an der Haltestange, den linken Fuß auf der Bremse oder die Hacke im Schnee, wenn man langsamer fahren oder bremsen musste. »Wenn die Hunde laufen sollen, rufen Sie ›Go!‹ oder ›Jetzt aber!‹ oder irgendwas in der Art. Ich rufe immer ›Giddy-up!‹. Keine Ahnung, was es wirklich bedeutet, das Wort hat mir mal ein Cowboy aus Texas verraten.«
Sie merkte, wie Billy bei dem Wort an den Leinen zog. »Klingt gut.«
»Wenn Sie nach links wollen, rufen Sie ›Haw!‹ Wenn es nach rechts gehen soll, heißt es ›Gee!‹. Bei ›Easy‹ werden die Hunde langsamer, und bei ›Whoaa!‹ halten Sie an.« Er lächelte verschmitzt. »Wenn Sie Glück haben.«
Er zeigte ihr den Anker, einen eisernen Pflock, der an einer Lederschnur befestigt war und in den Schnee gestoßen wurde, wenn man die Hunde am Weiterlaufen hindern wollte. »Vergessen Sie niemals, den Schlitten zu verankern, wenn Sie irgendwo rasten, und fallen Sie vor allem nicht vom Schlitten. Schlittenhunde sind keine Pferde oder Maultiere, die rennen einfach weiter, wenn Sie runterfallen. Nicht mal Billy würde meinetwegen umkehren. Denken Sie daran, wenn Sie mal irgendwo allein in der Wildnis unterwegs sind. Ich will Ihnen keine Schauermärchen mehr erzählen, aber es sollen schon Musher tagelang in der Wildnis herumgeirrt und dann irgendwo gestorben sein, weil sie vom Schlitten gefallen waren und weder ihre Waffe noch ihre Vorräte bei sich hatten. »Am besten fahren Sie erstmal als Passagier mit.« Er reichte ihr die Decken, die er mitgenommen hatte. »Machen Sie sich’s auf der Ladefläche bequem, und halten Sie sich gut fest! Ich will Sie nicht verlieren.«
Clarissa hatte alles erwartet, nur nicht ein so starkes Glücksgefühl, als Alex mit einem lauten »Giddy-up!« die Hunde antrieb, und der Schlitten wie von einem Katapult geschleudert nach vorn schoss. Ähnliches hatte sie nur als kleines Mädchen auf einem Jahrmarkt erlebt, wenn sich das Karussell immer schneller gedreht hatte, und auf dem Meer, wenn sie mit dem Kutter in eine starke Strömung geraten waren. Die Huskys legten sich mit einer solchen Vehemenz in die Geschirre, dass der
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