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Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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Paddeln. Am Fuß des Berges, wo das Eis hellgrün war, dösten drei Robben in der Sonne. Renn heftete den Blick auf sie und redete sich ein, dass es keinen Grund zur Sorge gab.
    Es half nichts. Sie machte sich trotzdem Sorgen. Torak hatte nur Wolf im Kopf, und Renn wurde immer skeptischer, wohin das alles führen mochte. Außerdem hatte sie ihn immer noch nicht auf die Seelenesser angesprochen.
    Ein kleinerer Eisberg glitt auf seiner geheimnisvollen Reise an ihnen vorbei. Renn spürte seinen bitterkalten Atemhauch, hörte, wie das Meer, leise schwappend und schmatzend, eine Vertiefung in seine Flanke leckte, ein gleißendes blaues Oval. Wie ein Auge, dachte Renn.
    »Das Auge der Natter!«, sagte sie unvermittelt.
    »Darüber denke ich auch die ganze Zeit nach«, erwiderte Torak. »Eine echte Natter kann nicht gemeint sein, die gibt es so weit nördlich nicht…«
    »Außerdem hat Inuktiluk gesagt: ›wenn ihr euch hineinwagt‹.«
    Torak drehte sich um. Mit dem Blendschutz glich er einer Eule. »Ich ahne, was er damit meint.«
    »Ich auch.«
    Torak schüttelte sich. »Hoffentlich irren wir uns. Ich kann Höhlen nicht ausstehen.«
    Schweigend paddelten sie weiter.
    Um sich bei Laune zu halten, inspizierte Renn den Proviant in ihrer Trage. Die Eisfüchse hatten sie reichlich eingedeckt. Außer einem großen Stück Walschwarte entdeckte Renn gefrorene Robbenrippchen und Blutwürste. Sie schnitt zwei Scheiben ab und gab Torak eine. Die Wurst war körnig und Renn fehlte der würzige Wacholderbeerengeschmack. Die Eisfüchse selbst fehlten ihr sogar noch mehr. »Ich habe ein ganz schlechtes Gewissen«, sagte sie.
    »Wieso?«, fragte Torak mit vollem Mund.
    »Die Eisfüchse haben uns so reich beschenkt und wir sind einfach abgehauen.«
    »Sie wollten uns zur Umkehr zwingen!«
    »Denk nur an die ganze Ausrüstung – Schneemesser, Lampen, neue Wassersäcke, einen neuen Flammenstein für mich und eine wunderschöne Hülle für meinen Bogen. Sogar an Flickzeug für das Boot haben sie gedacht.« Renn hielt einen Beutel hoch, der aus einer Robbenflosse gefertigt war.
    Torak hörte gar nicht zu. Er ließ das Paddel sinken und blickte gebannt geradeaus.
    »Was ist?«
    Auf dem Eisberg vor ihnen waren die Robben aufgewacht.
    Renn war verdutzt. »Wir haben doch genug Verpflegung«, raunte sie, »wir brauchen nicht anzuhalten und zu jagen.«
    Torak ging nicht darauf ein.
    Plötzlich ließen sich alle drei Robben ins Wasser gleiten. Im selben Augenblick tauchte Torak sein Paddel ein, brüllte: »Wenden! Wenden!«, und lenkte das Boot scharf nach links. Die erschrockene Renn half ihm dabei, das Boot schoss davon und schon ertönte ein ohrenbetäubendes Donnern. Der Eisberg neigte sich zur Seite und kippte um. Eine gewaltige Sturzsee ergoss sich dorthin, wo eben noch ihr Boot gewesen war.
    Schwer atmend schaukelten sie auf den aufgewühlten Fluten. Statt eines Eisbergs trieb nur noch wogender weißer Matsch im Meer.
    »Woher hast du das gewusst?«, fragte Renn.
    »Nicht ich – die Robben.«
    »Und woher wussten die es?«
    Torak zögerte und antwortete schließlich: »Sie spüren so etwas in den Barthaaren. Letzten Sommer bin ich doch in eine Robbe übergewechselt, weißt du nicht mehr?«
    Renn leckte sich beklommen das Salz von den Lippen. Sie hatte den Vorfall vergessen oder sich nicht mehr daran erinnern wollen. Sie wurde nicht gern daran erinnert, wie anders Torak war.
    Der sah ihr an der Nasenspitze an, was sie dachte. »Na komm schon«, sagte er. »Wir haben noch weit zu rudern.«
    Sie paddelten weiter und machten von nun an um alle Eisberge einen Bogen. Dass zwischen ihnen manches unausgesprochen blieb, bedrückte Renn. Sie musste es Torak bald sagen.
    Der Wind frischte auf und blies ihnen kalt in die Gesichter, aber dank der neuen Kleider merkten sie es kaum. Das Robbenfell hielt den Wind ab, war aber leichter als Rentierfell, und die Unterkleidung aus Eiderdaunen war behaglich warm, aber der Schweiß verdunstete trotzdem, sodass Renn nicht fror. Der Hundefellbesatz an der Kapuze wärmte ihr das Gesicht, verkrustete aber nicht mit gefrorenem Atem, und die Fäustlinge waren auf den Handflächen mit Schlitzen versehen, damit man bei kniffligeren Verrichtungen  – wie etwa einen Beutel öffnen – kurz die Finger herausstrecken konnte. Obendrein waren die Kleider ausgesprochen schön anzusehen, das Robbenfell schimmerte silbrig in der Sonne. Trotzdem war sich Renn darin selber fremd.
    Dazu trug auch die Zickzacktätowierung auf

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