Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)
half, den schweren, aus Riementang geknüpften Klettergurt anzulegen, und kam sich überflüssig und nutzlos vor. Detlan überprüfte noch den großen Holzhaken auf Asrifs Rücken, und Bale schlang sich ein Seil um die Schulter, das ebenfalls mit einem Holzhaken versehen war.
»Kann ich auch was tun?«, erkundigte sich Torak.
Asrif grinste ihn schief an. »Kannst mich ja auffangen, wenn ich runterfalle.«
»Steh uns halt nicht im Weg herum«, entgegnete Bale.
Torak trat zähneknirschend ein Stück zurück. Sie wollten ihn nicht einmal mithelfen lassen.
Jetzt holte Bale mit dem Seil aus. Der Haken sauste durch die Luft und das Seil legte sich in etwa zehn Schritt Höhe um einen Griffstein. Asrif fing den Haken auf und befestigte ihn an dem Haken auf seinem Rücken, Detlan nahm das Seilende und zog es straff. Dann machte sich Asrif an den Aufstieg, hangelte sich mit Händen und Füßen an Felsspalten und Griffsteinen empor, während Detlan sich weit zurücklehnte, um Asrifs Gewicht abzufangen, falls er abstürzte.
Asrif näherte sich dem Griffstein, um den das Seil lag, kletterte auf einen benachbarten Vorsprung, hielt sich mit einer Hand fest, hakte mit der anderen das Seil los und ließ es fallen. Der Haken schlug dumpf auf dem Boden auf – Torak sprang gerade noch rechtzeitig beiseite –, dann warf Bale das Seil ein zweites Mal. Diesmal zielte er auf einen weiter oben angebrachten Griffstein, wobei er sich vorsah, nicht versehentlich Asrif zu treffen. Asrif angelte nach dem hin und her pendelnden Haken und befestigte ihn wieder an seinem Gurt.
Als er weiterkletterte, flogen die ersten Vögel auf und flatterten entrüstet kreischend um ihn her. Ein paar Mal rutschte er aus und trat ins Leere. Nur der Haken und Detlans Muskelkraft bewahrten ihn vor dem tödlichen Sturz.
Detlan und Bale mühten sich schwitzend mit dem Seil, Torak stand daneben und verwünschte sich im Stillen dafür, dass er so gar nichts tun konnte. Asrif stieg immer höher. Auf dem letzten Stück, das für Bale zu weit weg war, warf er das Seil selbst, wobei er auf Griffsteine zielte, die nah genug waren, dass er nicht weit ausholen musste und womöglich das Gleichgewicht verlor. Schon kam der unterste Adlerhorst in Reichweite.
Torak beschattete seine Augen und blinzelte in die Sonne. Da sah er, wie sich ein dunkler, geduckter Umriss mit riesigen, stumpfen Schwingen von einem Felsvorsprung abstieß und kreiselnd auf Asrif niederschwebte.
Über dem Felsen kreiste ein einzelner Adler. Torak musste inzwischen auf der anderen Seite angekommen sein und Renn beschleunigte ihren Schritt.
Zwar ging die Sonne schon unter, aber es war immer noch sehr warm, und das Lüftchen, das vom See heraufwehte, brachte kaum Kühlung. Renn war noch vor Sonnenaufgang losgezogen. Bald darauf war zum Glück auch Wolf wiedergekommen, aber er war so ungeduldig vorausgelaufen, dass Renn Mühe gehabt hatte, mit ihm Schritt zu halten. Auch jetzt war er ihr wieder ein ganzes Stück voraus, machte allerdings immer wieder kehrt und kam zu ihr zurück.
Ob er wusste, wo Torak war? Oder hatte er die Fährte des Unbekannten aufgenommen, der über den See gerudert war? Renn hatte keine Spuren des Mannes entdecken können, sondern lediglich im Ufergebüsch ein weiteres Boot ohne jedes Gepäck gefunden. Vielleicht diente es nur als Ersatz. Leider ließen sich daraus keine Schlüsse ziehen, was der Fremde in dieser Gegend zu suchen hatte.
»Dieser Tage begeben sich die Robben nicht ins Landesinnere«, hatte ihr Tiu erläutert. »Das war früher anders, aber inzwischen achten sie mehr darauf, Wald und Meer strikt zu trennen.«
»Ist denn das Westufer ganz und gar unbewohnt?«, hatte Renn nachgefragt.
Tiu hatte das bejaht. »Dieser Teil der Insel gehört den Adlern. Den hohen roten Felsen, auf dem sie hausen, sieht man schon von weitem. Er ist wie die Finne eines Jägers geformt.«
Gegen Mittag hatte Renn den Felsen zum ersten Mal erblickt. Inzwischen lag der See hinter ihr und sie stand direkt davor.
Von dieser Seite aus war es unmöglich, ihn zu ersteigen. Auf dem tückischen Geröllhang wuchsen nicht einmal Krähenbeersträucher, an denen man sich hätte festhalten können. Weiter links jedoch glaubte sie zwischen ein paar vereinzelten Ebereschen einen Pfad zu erkennen, der womöglich auf die Südseite und anschließend zum Meer hinunterführte, und damit zu Torak.
Zu ihrer Überraschung würdigte Wolf den Pfad keines Blickes, sondern wandte sich nordwärts. Er
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