Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)
verschwand in einem Birkengehölz, kam aber sofort wieder herausgesprungen und forderte sie ungeduldig zum Mitkommen auf. Dabei wirkte er nicht ängstlich, sondern einfach nur aufgeregt, und Renn entschloss sich, ihm zu folgen.
Der Pfad führte durch dichtes Unterholz einen felsigen Hang empor. Zerkratzt und ganz außer Atem, kam Renn schließlich auf einem windigen Grat heraus. Sie blickte auf einen Uferstreifen mit schwarz glänzendem Sand hinab, der im Norden jäh abbrach, weil eine Klippe ins Meer gerutscht war. Felsblöcke lagen im Wasser verstreut und darüber zankten sich Schwärme von Vögeln krächzend um etwas Großes, Regloses.
Aas, dachte Renn und sah Wolf nach, der den Abhang hinunterstürmte. Kein Wunder, dass er so ungeduldig war. Endlich fand er einmal genug zu fressen.
Da sie schon in der Nähe war, wollte sie nachsehen, um was für einen Kadaver es sich handelte.
Der Wind drehte sich und trug ihr einen fauligen Gestank zu. Unten angekommen stapfte sie durch den kohlschwarzen Sand. Wolf verscheuchte die Vögel. Krähen und Möwen stießen auf ihn herab, aber er schnappte nach ihnen und verscheuchte sie. Die Raben stellten es schlauer an, hockten sich auf die Felsen und warteten, dass sie an die Reihe kämen.
Dann entdeckte Renn, dass vor ihr schon jemand hier gewesen war, denn außer Wolfs Spuren sah man im Sand auch die Spuren eines Menschen. Der Betreffende war nicht gerannt, sondern gemächlich gegangen. Was der unbekannte Ruderer auch vorgehabt hatte, er hatte sich dabei Zeit gelassen.
Als Renn näher kam, wurde der Aasgestank so streng, dass sie durch den Mund atmen musste. Die Sonne blendete, und sie konnte nicht richtig erkennen, was dort zwischen den Steinen lag. Sie sah nur einen großen, gewölbten, mit Vogelkot bespritzten Umriss und Wolf, der heißhungrig über das dunkelrote Fleisch herfiel.
Als Renn zu ihm treten wollte, wich er ihr aus und lief ein Stück um den Kadaver herum. Vielleicht wollte er ihr damit sagen, sie solle ihm mehr Platz lassen, damit er ungestört fressen könne, aber Renn war ganz von dem Anblick gefangen genommen, der sich ihr jetzt klar und deutlich bot. O nein, dachte sie, das darf nicht wahr sein.
Wolf hob den Kopf und knurrte sie an, dann winselte er verlegen und wedelte mit dem Schwanz. Das sollte heißen, dass er sie gern hatte, sie ihn aber störte.
Renn wich mit weichen Knien zurück. Sie hatte genug gesehen.
Das Jägerjunge hatte sich in einem Robbennetz verfangen und war mit einer Axt erschlagen worden. Dann hatte man den so gut wie unversehrten Kadaver den Vögeln überlassen und nur die Zähne herausgeschnitten.
Von Übelkeit überwältigt, ließ sich Renn in den Sand fallen. Sie konnte den Blick nicht von der kleinen, schwarzen, von Vögeln zerpickten Finne wenden. Warum tat jemand so etwas?
Dann fiel ihr wieder der einzelne Jäger ein, vor dem der Tangclan gewarnt hatte.
Kein Wunder, dass er bösartig ist, dachte sie.
Kapitel 26
HOCH OBEN IM FELS steckte Asrif in Schwierigkeiten.
Er war bis zu einem Vorsprung ganz dicht unter dem Adlerhorst gekommen, doch dann hatte sich sein Gurt an einem Stein verhakt, und er schaffte es nicht, sich loszumachen.
»Warum schneidet er sich nicht los?« Detlan machte einen langen Hals.
»Wie sollen wir ihn dann sichern?«, fragte Bale zurück.
Torak mischte sich ein. »Wenn er festhängt, dann …«
»… kommt er nicht wieder runter«, fiel ihm Bale gereizt ins Wort. »So schlau sind wir selber.«
»Ich wollte bloß anbieten, hochzuklettern und ihm zu helfen.«
»Was?« , entfuhr es Detlan und Bale wie aus einem Mund.
»Da drüben sind doch noch mehr Griffsteine. Wenn ich die nehme …«
»Ja, wenn!«, sagte Bale ironisch.
Torak wandte sich zu ihm. »Ihr habt doch noch einen Gurt und ein Seil dabei und ich bin sogar leichter als Asrif. Ich habe ja jetzt gesehen, wie man es anstellen muss.«
Bale starrte ihn an wie einen Geist. »Das würdest du tun?«
»Wir brauchen die Wurzel«, erwiderte Torak schlicht. »Oder habt ihr einen besseren Vorschlag?«
Die ersten zehn Schritt gingen leicht. Der Gurt lag locker um Toraks Schultern, in den großen Holzhaken am Rücken war der Seilhaken eingehängt. Torak hatte sich zuvor überzeugt, dass beide Haken aus kräftigem Fichtenholz geschnitzt waren.
Detlan hielt immer noch Asrifs Seil, Bale sicherte Torak, als dieser bis zum ersten Felsvorsprung kletterte.
»Nicht nach unten schauen und auch nicht bis ganz nach oben.«
Leider hielt sich Torak
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