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Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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begriffen, dass die Wolfssprache ein verzwicktes Zusammenspiel von Gebärden, Blicken, Duftmarken und Lauten war. Die Gebärden vollführt man mit Schnauze, Ohren, Pfoten, Schwanz, Schultern, Fell und manchmal auch mit dem ganzen Körper. Manche sind bloße Andeutungen, ein kaum wahrnehmbares Schieflegen des Kopfes oder ein Zucken, und die meisten sind stumm. Inzwischen kannte Torak schon eine ganze Menge, allerdings musste er sich auch kaum Mühe geben, sie zu erlernen. Eher hatte er das Gefühl, sich an etwas vorübergehend Vergessenes zu erinnern.
    Nur eines würde er wohl nie beherrschen, weil er eben kein Wolf war, nämlich das, was er »Wolfsgespür« nannte, das unfehlbare Gespür des Welpen für Toraks Gedanken und Stimmungen.
    Auch Wolfs Stimmungen wechselten. Manchmal war er ganz Welpe, mit einer kindlichen Vorliebe für Beeren und absolut unfähig, still zu sitzen, wie zum Beispiel als Torak eine Namensgebungszeremonie für ihn abgehalten und er die ganze Zeit herumgezappelt und sich anschließend den roten Erlensaft wieder von den Pfoten geleckt hatte. Im Gegensatz zu Torak, der aufgeregt gewesen war, ein so wichtiges Ritual durchzuführen, hatte sich Wolf nicht im Geringsten beeindruckt gezeigt und ungeduldig darauf gewartet, dass es zu Ende war.
    Dann wieder war er der Anführer und wusste mit rätselhafter Sicherheit, welchen Weg sie nehmen mussten. Wenn ihn Torak danach fragte, antwortete er höchstens: Ich weiß es eben.
    Jetzt gerade war er allerdings kein Anführer, sondern eindeutig ein Welpe. Seine Schnauze war schwarz von Brombeersaft und er verlangte jaulend nach mehr.
    Torak lachte und gab ihm einen Klaps. »Schluss jetzt! Ich hab zu tun.«
    Wolf schüttelte sich grinsend und trollte sich, um ein Nickerchen zu machen.
    Torak brauchte volle zwei Tage, um den Rehbock zu zerlegen. Er hatte dem Tier ein Versprechen gegeben, und wenn er es einhalten wollte, durfte er nichts vergeuden. So lautete der uralte Pakt zwischen Jägern und Weltgeist: Ein Jäger muss seiner Beute Achtung entgegenbringen, dann schickt ihm der Geist neues Wild.
    Es war eine verantwortungsvolle Aufgabe. Man brauchte viele Sommer, um zu lernen, richtig mit seiner Jagdbeute umzugehen. Torak stellte sich nicht besonders geschickt an, aber er gab sich große Mühe.
    Zuerst schlitzte er dem Bock den Bauch auf und schnitt für den Clanhüter ein Stück Leber ab. Den Rest zerlegte er in Streifen und räucherte sie. Allerdings ließ er sich erweichen, Wolf ein Stück abzugeben, das dieser gierig verschlang.
    Als Nächstes zog er dem Tier das Fell ab und kratzte die Unterseite mit seinem Geweihschaber sauber. Um das Haar zu lockern, wusch er das Fell in mit zerbröckelter Eichenrinde vermischtem Wasser und spannte es zwischen zwei jungen Bäumen zum Trocknen auf – und zwar höher, als Wolf springen konnte. Anschließend schabte er das Fell ab, allerdings so ungeschickt, dass er zwei Löcher hinterließ. Die Haut machte er geschmeidig, indem er sie mit dem zerdrückten Hirn des Rehbocks einrieb. Dann wurde sie noch einmal gewaschen und getrocknet, und erst jetzt hatte er ein brauchbares Rohleder, aus dem man Riemen und Angelschnüre herstellen konnte.
    Während die Haut trocknete, schnitt er das Fleisch in schmale Streifen und räucherte es über einem qualmenden Birkenholzfeuer. Anschließend klopfte er die Streifen zwischen zwei Steinen flach und rollte sie zu kleinen, festen Bündeln. Das fertige Fleisch schmeckte köstlich. Ein kleines Stück hielt einen halben Tag vor.
    Die Innereien wusch er aus, weichte sie in Rindenbrühe ein und hängte sie zum Trocknen über einen Wacholderbusch. Der Magen konnte als Wasserbehälter dienen, die Blase als Ersatz-Zunderbeutel und in den Därmen konnte man Nüsse aufbewahren. Die Lungen waren für Wolf gedacht, allerdings nicht sofort. Torak wollte sie bei seinen Tag- und Nachtmahlen nach und nach auskauen und dann erst dem Welpen hinspucken. Aber da er kein Kochleder besaß, um Leim herzustellen, überließ er Wolf die Hufe. Mit denen spielte der Welpe begeistert, um sie schließlich knirschend zu zerbeißen.
    Anschließend wusch Torak die langen Rückensehnen, die er vor dem Zerlegen der Beute herausgetrennt hatte, klopfte sie flach und zerfaserte sie in einzelne Fäden, die er trocknete und mit Talg einrieb, damit sie geschmeidig wurden. Sie waren längst nicht so glatt und gleichmäßig wie die Fäden, die sein Vater herstellte, aber sie erfüllten ihren Zweck und waren so fest, dass sie

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