Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)
wiegen …
Wolfs verzweifeltes Jaulen drang an sein Ohr.
Torak schlug die Augen auf. Das Verborgene Volk floh, silberne Blasen perlten durch die Schwärze.
Wieder rief Wolf nach ihm.
Wolf brauchte ihn. Sie hatten noch etwas zu erledigen. Gemeinsam.
Torak schlug mit den empfindungslosen Gliedern um sich und kämpfte sich an die Oberfläche. Das grüne Licht wurde heller. Es zog ihn empor… Kurz bevor er es erreicht hatte, ließ ihn etwas nach unten blicken – und da sah er sie. Aus der Tiefe starrten zwei blinde weiße Augen zu ihm herauf.
Was war das? Flussperlen? Die Augen eines Angehörigen des Verborgenen Volks?
Die Weissagung. Das Rätsel. Ertrunkene Augen im tiefsten Grund …
In seiner Brust stach es. Wenn er nicht bald Luft bekam, musste er sterben. Aber wenn er jetzt nicht tauchte und sich die beiden Augen schnappte –, worum es sich auch handeln mochte – würde er sie nie mehr wieder finden.
Er machte kehrt und stieß sich mit kräftigen Beinschlägen wieder hinab.
Die Kälte schmerzte in den Augen, aber er wagte nicht, sie zu schließen. Er kam näher, noch näher… streckte die Hand nach dem Grund aus … und griff in eisigen Schlamm. Er hatte sie! Nachsehen konnte er nicht, denn ringsum wirbelte der Schlamm auf, außerdem wagte er nicht, die Hand zu öffnen, damit sie ihm nicht wieder entglitten, doch er spürte, wie ihr Gewicht ihn nach unten zog. Er drehte abermals um und strampelte nun wieder dem Licht entgegen.
Doch seine Kräfte ließen nach, und er stieg mit qualvoller Langsamkeit empor, behindert von seinen voll gesogenen Kleidern. Erneut blitzten Lichter vor seinen Augen. Wieder lachte es sprudelnd. Zu spät , flüsterte das Verborgene Volk. Jetzt kommst du nie mehr ans Licht! Bleib bei uns, du Junge mit den unsteten Seelen. Bleib für immer hier…
Etwas packte ihn am Bein und zog ihn hinab.
Er trat danach. Konnte sich nicht befreien. Etwas hielt ihn direkt über dem Knöchel am Beinleder fest. Er wand sich wie ein Fisch, um sich loszureißen, schaffte es aber nicht. Er wollte sein Messer ziehen, doch vor der Überquerung des Flusses hatte er den Riemen um das Heft festgezurrt und jetzt bekam er es nicht heraus.
Zorn wallte in ihm auf. Lasst mich los!, rief er stumm. Ihr kriegt mich nicht – und die Nanuak auch nicht!
Der Zorn verlieh ihm Kraft und er trat wild um sich. Der Griff um sein Bein lockerte sich. Etwas stieß ein gurgelndes Heulen aus und versank in der Dunkelheit. Torak schoss nach oben.
Er durchbrach die Oberfläche, sog die Luft mit gierigen Zügen ein. Von der grellen Sonne geblendet, nahm er eine grüne Wasserfläche und einen überhängenden Ast wahr, der rasch näher kam. Er streckte die freie Hand danach aus… und verfehlte ihn. Ein jäher Schmerz, sein Kopf wollte schier bersten, so weh tat es.
Er wusste, dass er nicht ohnmächtig war. Nach wie vor spürte er die Wellen und hörte den eigenen rasselnden Atem … aber seine Augen waren offen und er konnte nichts sehen.
Panik überfiel ihn. Bin ich blind?, dachte er. Nein, bitte nicht , nicht blind!
Kapitel 16
WEIBCHEN SCHWANZLOS winselte und wedelte mit den Vorderpfoten, deshalb ließ Wolf sie stehen und lief weiter.
Als er Groß Schwanzlos zwischen den Weiden witterte, fing er ebenfalls zu winseln an. Sein Rudelgefährte lag halb im Nass über einem Baumstamm. Er roch nach Blut und bewegte sich nicht.
Wolf leckte ihm die kalte Wange, aber Groß Schwanzlos rührte sich noch immer nicht. War er Ohn-Hauch? Wolf legte den Kopf zurück und heulte.
Ein schwerfälliges Krachen von Zweigen kündigte Weibchen Schwanzlos an. Wolf sprang auf, um seinen Rudelgefährten zu verteidigen, aber sie schubste ihn weg, schob Groß Schwanzlos die Vorderpfoten unter die Achseln und zog ihn aus dem Nass.
Wider Willen war Wolf beeindruckt.
Er sah zu, wie sie Groß Schwanzlos die Pfoten auf die Brust setzte und fest drückte. Groß Schwanzlos hustete! Groß Schwanzlos hatte wieder Hauch!
Aber gerade als Wolf auf seinen Rudelgefährten springen und ihm zärtlich die Schnauze lecken wollte, wurde er wieder weggestoßen! Ohne sich um sein drohendes Knurren zu kümmern, stellte das Weibchen Groß Schwanzlos auf die Beine und torkelte mit ihm die Uferböschung hinauf. Groß Schwanzlos stolperte immer wieder in die Haselsträucher, als könnte er nichts sehen.
Wachsam trabte Wolf neben den beiden her, und seine Aufregung ließ erst ein wenig nach, als sie eine Höhle, ein gutes Stück vom Flinken Nass entfernt,
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