Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)
hier sein dürfte, denn im Gegensatz zu dir bin ich nicht der Lauscher und komme auch in der Weissagung nicht vor, ich bin einfach nur Renn. Aber es ist sinnlos, das alles auszusprechen, denn du denkst ohnehin nur an deinen Wolf.« Deshalb sagte sie nur: »Nichts. Ich habe nichts.«
Torak warf ihr einen zweifelnden Blick zu und machte sich daran, das Feuer auszutreten.
Den ganzen Morgen folgten sie der Fährte durch das Buchengehölz und später durch einen Rottann, wandten sich nach Nordosten und stiegen dabei stetig höher. Wie schon zuvor versetzte Toraks Fährtenlesekunst Renn in Erstaunen. Er schien regelrecht in Trance zu verfallen, suchte mit unerschöpflicher Geduld das Gelände ab und entdeckte dabei manches winzige Zeichen, das die meisten erwachsenen Jäger übersehen hätten.
Der Nachmittag war vorangeschritten, und das Licht schwand schon wieder, als er stehen blieb.
»Was ist?«, fragte Renn.
»Schsch! Ich glaube, ich hab was gehört.« Er legte die Hand ans Ohr. »Dort! Hörst du’s auch?«
Sie schüttelte den Kopf.
Ein Grinsen zog über sein Gesicht. »Das ist Wolf!«
»Bist du sicher?«
»Sein Geheul erkenne ich immer. Komm schon, er ist dort oben!« Er zeigte nach Osten.
Renn ließ allen Mut fahren. Nicht nach Osten, dachte sie, bitte nicht nach Osten.
Der Boden unter ihren Füßen wurde immer felsiger und die Bäume schrumpften zu hüfthohen Birken und Weiden.
»Bist du sicher, dass er hier ist?«, vergewisserte sich Renn noch einmal. »Wenn wir hier weiterlaufen, kommen wir ins Hochmoor.«
Torak hörte überhaupt nicht hin. Er lief unbeirrt voran und verschwand hinter einem Felsen. Dann hörte sie, wie er aufgeregt nach ihr rief.
Sie eilte den Hang hinauf und um den Felsen herum, lief direkt in die Fänge eines eisigen Nordwindes. Sie wich zurück. Sie hatten tatsächlich den Saum des Waldes erreicht, den Rand des Hochmoors.
Vor ihnen erstreckte sich ein schier unendliches, baumloses Ödland, in dessen Boden sich Heide und Krautweiden in dem vergeblichen Versuch festklammerten, dem Wind zu trotzen, und auf dem inmitten wogenden Sumpfgrases kleine torfbraune Tümpel schimmerten. In weiter Ferne ragte ein tückischer Geröllhang auf und dahinter erhoben sich die Hohen Berge. Aber zwischen dem Geröllhang und den Bergen lag das, was Renn am meisten fürchtete und was von hier aus nur als weißes Glitzern zu erkennen war.
Torak nahm davon natürlich überhaupt nichts wahr. »Renn!«, rief er und der Wind riss ihm das Wort von den Lippen. »Hierher!«
Sie nahm sich zusammen und sah, dass er am Ufer eines schmalen Baches kniete. Neben ihm lag Wolf mit geschlossenen Augen, den Rabenhautbeutel neben dem Kopf.
»Er lebt!«, schrie Torak und grub sein Gesicht in das nasse graue Fell. Wolf öffnete ein Auge und wedelte schwach mit dem Schwanz. Renn stolperte durchs Heidekraut auf die beiden zu.
»Er ist erschöpft«, sagte Torak, ohne aufzusehen, »und total durchnässt. Er ist im Bach gelaufen, damit der Bär seine Fährte verliert. War das nicht schlau?«
Renn blickte sich ängstlich um. »Aber hat es auch geklappt?«
»Klar«, sagte Torak. »Sieh dir die vielen Sumpfpieper an. Die wären nicht hier, wenn der Bär in der Nähe wäre.«
Renn wünschte, sie könnte seine Zuversicht teilen, kniete nieder und kramte in ihrer Trage nach einem Lachsfladen für Wolf. Ein schon kräftigeres Schwanzwedeln war der Dank.
Es war wunderbar, Wolf wiederzuhaben, aber Renn fühlte sich von allem seltsam abgeschnitten. Zu viel anderes stürzte auf sie ein, zu viel, von dem Torak nichts wusste.
Sie hob den Rabenhautbeutel auf, löste die Schnüre und schaute hinein. Die Flussaugen lagen nach wie vor in ihrem Nest aus Ebereschenblättern.
»Ja, nimm sie nur«, sagte Torak, hob Wolf hoch und bettete ihn dann behutsam auf ein Fleckchen mit weichem Sumpfgras. »Wir müssen sie sofort vor dem Bären verstecken.«
Renn öffnete die Ebereschenschachtel mit dem Steinzahn und ließ die Flussaugen hineingleiten. Dann band sie die Schachtel wieder zu und schob sie in den Beutel, den sie an ihrem Gürtel befestigte.
»Jetzt geht es ihm gleich wieder gut«, versicherte Torak, beugte sich über den Welpen und leckte ihm liebevoll die Schnauze. »Wir sollten ihm an der windgeschützten Stelle dort drüben eine Hütte bauen und Feuer machen, damit er sich erholen kann.«
»Nicht hier«, widersprach Renn hastig. »Lass uns in den Wald zurückgehen.« Auf dem windgepeitschten Moor kam sie sich so ungeschützt
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